OSTERZEIT
2.WOCHE - DONNERSTAG
12
IN STAAT
UND GESELLSCHAFT
Gott mehr
gehorchen als den Menschen.
Christliches Zeugnis in Staat und Gesellschaft.
Kritisches und aktives Mitwirken.
I. Den
Aposteln war bei Strafe verboten worden,
jemals
wieder im Namen Jesu zu predigen und zu lehren.
Natürlich lassen sie sich nicht einschüchtern und setzen freimütig ihre
Verkündigung fort. Viele lassen sich taufen, die Kirche wächst. Und wieder
einmal, so berichtet uns die erste Lesung der heutigen Messe, stehen die
Glaubensverkünder vor den Richtern:
Man
führte sie herbei und stellte sie vor den Hohen Rat. Der Hohepriester verhörte
sie und sagte: Wir haben euch streng verboten, in diesem Namen zu lehren; ihr
aber habt Jerusalem mit eurer Lehre erfüllt. (...) Petrus und die Apostel
antworteten: Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.2
Die
Apostel sind keine Rebellen, sie sind Zeugen Christi, schlicht und ohne Dünkel
erinnern sie die Träger der legitimen Gewalt daran, daß diese nicht absolut ist,
sondern unter dem Gesetz Gottes stehen muß.
Nach der
Herabkunft des Heiligen Geistes sind sie erstarkt für das Bekenntnis, weise im
Eingehen auf die Lehre ihres Meisters und verantwortlich für die ihnen
anvertraute Sendung. Sie geben all das an jene weiter, die sich auf ihr Wort hin
bekehren, und durch sie durch die Jahrhunderte hindurch an uns.
Die
Begebenheit aus der Apostelgeschichte hat einen bleibenden Wert. Was sich damals
vor dem Hohen Rat ereignete, wiederholt sich im Laufe der Geschichte in
unterschiedlichen Formen. »Wenn der Apostel Paulus von den bösen Geistern
spricht, die das Luftreich beherrschen, dann meint er sicher, übersetzt in
unsere Situation, jene Geister, die die öffentliche Meinung bestimmen und gegen
die wir eigentlich machtlos sind, weil wir in der öffentlichen Meinung leben und
wir sie einfach miteinatmen. Dann ist der Instinkt nötig, der uns wittern läßt,
woher die Geister kommen.«3
Unsere
heutige Situation in den europäischen Ländern »stellt das Christentum und die
Kirche vor die radikalste Herausforderung, die die Geschichte bisher gekannt
hat«, sagt Papst Johannes Paul II.4 Denn der Mensch ist »so sehr mit den
Aufgaben des Aufbaus der >irdischen Stadt< beschäftigt (...), daß er die >Stadt
Gottes< aus dem Blick verloren hat oder sie bewußt ausschließt. (...) Dieser
Mensch, der so gern erwachsen, reif und und frei sein möchte, ist auch ein
Mensch, der vor der Freiheit flieht, um sich dem Konformismus zu überlassen, ein
Mensch, der einsam ist, von vielfältigem seelischen Unbehagen bedroht, den Tod
beiseite schieben will und in erschreckendem Maß die Hoffnung verliert.«5
Jeder
trägt Verantwortung für sein persönliches Zeugnis und sein apostolisches Wirken
in einer sich zunehmend säkularisierenden Gesellschaft. »Zahlreiche Realitäten
des irdischen Lebens - beispielsweise der Technik, der Wirtschaft, der
Gesellschaft, der Politik oder der Kultur - werden zu ungeheuren Hindernissen
für ein Leben aus dem Glauben, wenn sie sich selbst überlassen bleiben oder wenn
sie allein von Menschen bestimmt werden, denen das Licht des Glaubens fehlt.
Diese Realitäten bilden dann einen ummauerten Bezirk, aus dem die Kirche
feindselig ausgeschlossen bleibt.
Du -
Forscher, Schriftsteller, Wissenschaftler, Politiker, Handwerker ... - hast als
Christ die Pflicht, all dies zu heiligen. Denke an die Worte des Apostels, daß
die gesamte Schöpfung wie in Geburtswehen liegt und auf die Befreiung der Kinder
Gottes wartet.«6
II. »Es
gibt in unserer Zeit wohl keine größere Torheit als den Versuch, in dieser Welt
eine feste und brauchbare Ordnung aufzubauen ohne das notwendige Fundament,
nämlich ohne Gott; die Größe des Menschen zu verherrlichen und dabei die Quelle
versiegen zu lassen, aus der diese Größe fließt und genährt wird, indem man
versucht, das Verlangen nach Gott zu schwächen oder womöglich zu unterdrücken«7.
Materialismus, Hedonismus, Säkularismus charakterisieren die Situation im Europa
des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts. Lebensmodelle, die im Widerspruch zum
Glauben stehen, breiten sich aus, propagiert durch die Massenmedien und den
fragwürdigen Lebensstil einzelner. Auch Gutwillige geraten am Ende in den Sog
hedonistischer Lebensweisen.
In dieser
Orientierungslosigkeit weist die Kirche den Christen auf die Pflicht und das
Recht hin, die menschliche Gesellschaft prägend mitzugestalten. Denn wie das
Zweite Vatikanische Konzil lehrt: »In Verfolgung ihrer eigenen Heilsabsicht
vermittelt die Kirche nicht nur den Menschen das göttliche Leben, sondern läßt
dessen Widerschein mehr oder weniger auf die ganze Welt fallen, vor allem durch
die Heilung und Hebung der menschlichen Personwürde, durch die Festigung des
menschlichen Gemeinschaftsgefüges, durch die Erfüllung des alltäglichen
menschlichen Schaffens mit tieferer Sinnhaftigkeit und Bedeutung. (...) Wer
Christus, dem vollkommenen Menschen, folgt, wird auch selbst mehr Mensch.
Aus
diesem Glauben heraus vermag die Kirche die Würde des menschlichen Wesens allen
Meinungsschwankungen zu entziehen, die beispielsweise den menschlichen Leib zu
sehr abwerten oder über das rechte Maß emporheben. Durch kein menschliches
Gesetz können die personale Würde und die Freiheit des Menschen so wirksam
geschützt werden wie durch das Evangelium Christi, das der Kirche anvertraut
ist.«8
Besonders
die Laien sind hier gefordert. »Sie« so heißt es in einem anderen Text des
Zweiten Vatikanums, »müssen den Aufbau der zeitlichen Ordnung als die gerade
ihnen zukommende Aufgabe auf sich nehmen und dabei, vom Licht des Evangeliums
geleitet sowie von christlicher Liebe gedrängt, unmittelbar und entschieden
handeln«9 und zwar »aus ihrer spezifischen Sachkenntnis heraus und in eigener
Verantwortung als Bürger«10.
Die
entschiedene Reaktion der Apostel auf einen anmaßenden Befehl der Obrigkeit gibt
ein Beispiel christlicher Entschlossenheit, die Welt durch die Frohe Botschaft
zu erleuchten. Es ist nicht Aufgabe des kirchlichen Lehramtes, zu Tagesfragen
der Politik, Wirtschaft, Kultur oder der Gesellschaft Stellung zu nehmen, es sei
denn, christliche Wertvorstellungen würden verletzt. Der einzelne Gläubige muß
sich gedrängt fühlen, wo immer, bei einer politischen Wahl, wenn es um Schule
und Ausbildung der Kinder oder den Ferienort für die Familie geht, oft gegen
gängiges Verhalten und weitverbreitete Vorurteile nach seinem christlichen
Gewissen zu handeln: »Konfessionslosigkeit, Neutralität. - Alte Mythen, die sich
immer neu aufputzen wollen.
Hast du
schon einmal darüber nachgedacht, wie absurd es ist, daß man aufhört, katholisch
zu sein, wenn man in der Universität, in der Berufsorganisation, bei einer
wissenschaftlichen Tagung, im Parlament auftritt wie jemand, der seinen Hut an
der Garderobe abgibt?«11
III. Ein
Christ sieht seinen konkreten Lebensbereich und weiß im Licht des Glaubens: hier
beginnen Verantwortung und Sorge für die anderen, und sein katholischer Geist -
offen, weit - sieht über die eigenen vier Wände hinaus und sucht nach
Möglichkeiten, das Geschehen in Kirche und Welt mitzugestalten. Seine
Verwurzelung in der Kirche läßt ihn verbindliche Äußerungen des Lehramtes
dankbar annehmen, ohne sich von Tendenzen anstecken zu lassen, die Papst
Johannes Paul II. mit folgenden Worten charakterisiert: »Die Uneinigkeit in
Lehre und Moral erscheint als ein mehr oder weniger typisches Symptom des
>reichen< Westens und somit auch Europas. In gewisser Hinsicht scheint sie von
einer Verlagerung ziviler Lebensmodelle und der politischen Auseinandersetzung
auf das religiöse und kirchliche Gebiet herzurühren; unter einem anderen Aspekt
kann sie wohl einen stolzen menschlichen Geist ausdrücken, der von den
Forderungen des Evangeliums ebensowenig wissen will wie von der Notwendigkeit
der Gnade Gottes, um sie anzunehmen und zu leben.«12
Der
ureigene Bereich des Laien ist die Welt. »Ohne das Wirken und das Zeugnis der
Laien könnte das Evangelium niemals das gesamte menschliche Leben durchdringen
und in das ganze Leben der Gesellschaft hineingetragen werden.«13 Indem der Laie
hier seine Gaben und Talente einsetzt, trägt er zur Sendung der ganzen Kirche
bei: »daran zu arbeiten, daß die Menschen fähig werden, die gesamte zeitliche
Ordnung richtig aufzubauen und durch Christus auf Gott hinzuordnen.«14 Nicht nur
Initiative und apostolische Passion sind dazu notig, sondern vor allem die Gabe
der Unterscheidung, kritisches Vermögen also. Nicht das Machbare ist der
Maßstab, sondern der Einklang mit dem Willen des Schöpfers. Alles weltliche Tun
des Menschen muß auf Gott und seine Gebote bezogen bleiben. Wenn eine politische
Initiative oder eine künstlerische Tätigkeit diese Gottbezogenheit leugnet,
werden sie zum Werkzeug des Bösen.
Ein
christlicher Staatsbürger, der sich seiner Aufgabe in der Gesellschaft bewußt
ist, wird daher die Hintergründe politischer, gesellschaftlicher oder
kultureller Initiativen prüfen und werten. Aber nicht nur kritisch prüfen ist
die Aufgabe eines Christen in der Welt, sondern auch, selbst initiativ zu
werden.
Ein
kritisches Gespür für gegenwärtige Entwicklungen, aktives Mitwirken aus
menschlicher Verantwortung und apostolischem Geist, gegründet auf eine große
Liebe zur Kirche und ihrer Lehre: So ist ein Christ fähig, in einer an
diesseitigen Interessen verödenden Welt befruchtend zu wirken.
»Meinungsforschung und Werbung sind für uns keine Kriterien. Die Frage ist, wer
sagt uns, was wir brauchen, und wer führt uns, etwa mit Mitteln der
Meinungsforschung und der Werbung, bloß dahin, wohin er uns haben will? Wo sind
wir frei und wo werden wir insgeheim gesteuert als Menschen, die man an ihren
Wünschen und Emotionen ziehen kann wie Marionetten, auch in der Kirche? Wissen
wir auf all das klare Antworten? Ich kenne nur die eine aus dem Mund der Mutter
Christi, die den Jüngern sagt: >Was er euch sagt, das tut.<«15
4,18. -
5,27-27. -
J.Kard.Meisner,
Gedanken
zur Neuevangelisierung,
in:
Seelsorge
am Anfang?,
St.Ottilien 1990, S.14. -
Johannes Paul II.,
Ansprache
an die Teilnehmer am 6. Symposion der europäischen Bischöfe,
11.10.1985, 1. -
ebd., 11. -
J.Escrivá,
Die Spur
des Sämanns,
Nr.311. -
Johannes XXIII., Enz.
Mater et
Magistra,
15.5.1961, 217. -
II.Vat.Konz., Konst.
Gaudium
et spes,
40-41. -
II.Vat.Konz., Dekret
Apostolicam actuositatem,
7. -
ebd. -
J.Escrivá,
,
Nr.353. -
Johannes Paul II., a.a.O., 17. -
ebd., 15. -
II.Vat.Konz., Dekret
Apostolicam actuositatem,
7. -
J.Kard.Meisner, a.a.O., S.22.