OSTERZEIT
2. WOCHE - DIENSTAG
10
DIE
ERSTEN CHRISTEN
Geschwisterlichkeit, in der Einheit begründet.
Einheit, Vielfalt, Christusnähe.
Die Sprengkraft christlicher Nächstenliebe.
I.
Die Gemeinde der
Gläubigen war ein Herz und eine Seele1.
Mit diesen Worten faßt die Apostelgeschichte ein Pänomen unter den Urchristen
zusammen, das ihre Zeitgenossen stark beeindruckte. In ihrer Einheit und
Geschwisterlichkeit wurde die Lehre des Herrn im konkreten Leben greifbar. Mit
Worten des Kirchenvaters Johannes Chrysostomos: »Die Jünger gaben nicht nur mit
dem Wort, sondern auch mit ihren Tugenden von der Auferstehung Zeugnis.«2
Die
Einheit ist das erste, die Geschwisterlichkeit folgt aus ihr. Christus hat die
Einheit der Kirche ausdrücklich gewollt. Er spricht von der einen Herde und dem
einen Hirten,
er schildert bildhaft, daß kein Reich, keine Stadt und keine Familie, die in
sich gespalten sind, Bestand haben können,
er nennt das Fundament der Kirche einen Fels.
Damals
wie heute findet die Einheit ihren Ausdruck im Bekenntnis des einen Glaubens, im
Leben aus der einen Quelle der Sakramente und in der einen, von Christus
gestifteten Hierarchie. Zu den Christen auf den Philippinen sagte Papst Johannes
Paul II.: »Unser Herr wollte alle Völker unter einem Hirten zu einer einzigen
Herde versammeln. Sein Gebot lautete, alle Völker, in Ost und West, zu seinen
Jüngern zu machen, und unsere Antwort ist diese riesige Menge von Menschen
verschiedener Sprachen und Hautfarbe, verschiedener Kulturen und Berufe, die in
der kirchlichen Gemeinschaft vereint sind, um teilzuhaben am Wort Gottes und am
Brot des ewigen Lebens. Ihr bildet hier rund um euren Erzbischof und um den
Tisch des Wortes Gottes und des eucharistischen Opfers eure Ortskirche, eure
örtliche Kirchengemeinde. Ihr seid vereint in der Einheit eines Glaubens und
eines Gottesdienstes und in dem Band der Liebe, das das Kennzeichen der wahren
Jünger Christi ist.«6
Die
Einheit im Glauben gibt Halt nach innen und Elan nach außen. Bei Irenäus von
Lyon spüren wir um die Mitte des 2. Jahrhunderts etwas von diesem Schwung:
»Diesen Glauben (...) hütet die über die Welt hin verstreute Kirche sorgsam, da
sie ja gleichsam ein einziges Haus bewohnt und in ihrem Glauben denen gleicht,
die sozusagen nur eine Seele hatten und ein Herz; sie verkündigt, lehrt und
überliefert im Gleichklang wie mit einem einzigen Mund. Denn wenn auch auf der
Welt unterschiedliche Sprachen bestehen, so ist die Kraft der Überlieferung doch
nur eine und dieselbe. Weder überliefern oder glauben die in Germanien
gegründeten Kirchen anders noch die bei den Iberern noch die bei den Kelten noch
die im Orient, nicht die in Ägypten oder die in Libyen oder die, die sich in der
Mitte der Welt befinden. Vielmehr wie die Sonne, Gottes Geschöpf, in der ganzen
Welt eine und dieselbe ist, so leuchtet auch das Licht, die Verkündigung der
Wahrheit, überall und leuchtet allen Menschen, die zur Erkenntnis der Wahrheit
kommen wollen.«7
Um der
Einheit des Glaubens willen nahmen die ersten Gläubigen Verfolgungen und sogar
das Martyrium auf sich. Das Gebet der Kirche für die Einheit nimmt das Gebet
Christi beim Letzten Abendmahl auf:
Ut omnes
unum sint ... Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir
bin, sollen auch sie in uns sein.8
Für die
Einheit beten heißt für den Bestand der Kirche beten. Denn
jedes
Reich, das in sich gespalten ist, geht zugrunde, und keine Stadt und keine
Familie, die in sich gespalten ist, wird Bestand haben.
Aus dem persönlichen Gebet um dieses hohe Gut erwächst der wirksame Wunsch,
selbst zur Einheit beizutragen: zur Einheit mit dem Papst und mit den Bischöfen,
mit unseren Brüdern und Schwestern im Glauben und - auf einer anderen Ebene -
mit allen Menschen, damit alle zur Einheit in Christus gelangen.
II.
»Durch das Eine wird nicht die Vielheit aufgehoben, sondern nur die Teilung
(...). Die Vielheit aber hebt nicht die Einheit auf, sondern das Geteiltsein.«10
Dieses Wort des heiligen Thomas von Aquin ist keine philosophische Abstraktion -
auch für die Lebenspraxis der Kirche ist es wichtig zu wissen, daß nicht
Vielfalt, sondern nur das Geteiltsein das Band d= 10 Dieses Wort des heiligen
Thomas von Aquin ist keine philosophische Abstraktion - auch für die
Lebenspraxis der Kirche ist es wichtig zu wissen, daß nicht Vielfalt, sondern
nur das Geteiltsein das Band der Einheit zerreißt. Vielfalt ist nicht Minderung
er Einheit, sondern Zeichen des Lebens: »Innerhalb der umgreifenden Einheit ist
eine Vielfalt der Verkündigungsweisen, Gottesdienst- und Frömmigkeitsformen,
Theologien, Kirchengesetze, von Formen gesellschaftlichen Engagements und
sozialen Dienstes möglich, ja wünschenswert. Anders könnte die Kirche nicht
Menschen aus allen Völkern, Rassen, Kulturen, Sprachen, Denk- und Lebensformen
vereinigen. Nur durch eine solche Vielfalt in der Einheit kann sie allen alles
werden.«11 Auch deswegen nennen wir die Kirche katholisch, allumfassend. In
einem Text des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt es: »Die Kirche (...) fördert
und übernimmt Anlagen, Fähigkeiten und Sitten der Völker, soweit sie gut sind.
Bei dieser Übernahme reinigt, kräftigt und hebt sie sie aber auch. (...) Kraft
dieser Katholizität bringen die einzelnen Teile ihre eigenen Gaben den übrigen
Teilen und der ganzen Kirche hinzu, so daß das Ganze und die einzelnen Teile
zunehmen aus allen, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle der
Einheit zusammenwirken.«12
Das Wort
der Apostelgeschichte, daß die Christen
ein Herz und eine Seele
waren, schloß dennoch Spaltungen nicht aus. Derselbe Irenäus, der so
beeindruckend von der Ausbreitung des einen Glaubens spricht, klagt über
Menschen, »die Spaltungen verursachen. Leer von Gottesliebe, schauen sie auf den
eigenen Nutzen, aber nicht auf die Einsicht der Kirche, wegen kleiner und
nichtiger Ursachen zerschneiden sie den großen und herrlichen Leib Christi in
Stücke und möchten ihn, soviel an ihnen liegt, töten. Sie sagen Friede und
machen Krieg, seihen die Mücken und verschlingen das Kamel. Denn nimmermehr
können sie irgendeine Besserung bewerkstelligen, die so groß ist wie der Schaden
eines Schismas.«13
Damals
wie heute gilt: Wo Gottesliebe durch »Eigennutz« verdrängt wird, ist die
Spaltung nicht mehr weit. Das Gespür aber für die Einheit in der Kirche kann nur
auf dem Boden des persönlichen Ringens um Einheit mit Christus, um mehr Nähe zu
ihm wachsen. Papst Johannes Paul II. ermahnte die Mitglieder der Römischen
Kurie: »Wir werden in der Arbeit für die Gesamtkirche, die meine und eure
tägliche Aufgabe ist, wenig tun können, wenn wir nicht zur Vertrautheit mit dem
Herrn Jesus gelangt sind: wenn wir nicht wirklich mit ihm und wie er in der
Wahrheit geheiligt sind; wenn wir nicht sein Wort in uns bewahren und jeden Tag
seinen verborgenen Reichtum zu entdecken versuchen; wenn nicht die Liebe Gottes
zu seinem Gesalbten tief in uns Wurzel faßt.«14
III. Der
Apostel Paulus fordert die Epheser eindringlich auf,
ein Leben zu führen, das des Rufes
würdig ist, der an euch erging15.
Was kennzeichnet dieses Leben?
Seid demütig, friedfertig und
geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu
wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält. All dies war für
die Heiden, unter denen die erste Christengeneration lebte, ganz neu: »Für einen
Heiden ist es überraschend, wenn er Menschen begegnet, die einander lieben, die
mit der Einigkeit, der gegenseitigen Hilfe und dem Teilen in ihrem Leben ernst
machen, und wenn er eine Gesellschaft findet, die in echter Brüderlichkeit einen
Ausgleich zwischen dem Besitz der Armen und Reichen herstellt. Kaiser Julian muß
zwei Jahrhunderte später anerkennen, daß das Geheimnis des Christentums von
>seiner Menschlichkeit gegenüber Fremden und seiner Sorge für die Bestattung der
Toten< herrührt, kurz, von der besonderen Art seiner Nächstenliebe.«16
Die Liebe
zur Einheit der Kirche manifestiert sich bei den Urchristen in der Liebe zu
ihren Mitchristen, die alle gesellschaftlichen, ethnischen und kulturellen
Schranken sprengt. Ein Kenner der frühchristlichen Geschichte schreibt: »Von der
sozialen Situation waren am schlimmsten betroffen die Kranken, die
Gebrechlichen, die Notleidenden, die Arbeitslosen, die Alten, besonders Sklaven,
die nicht mehr arbeiten konnten, und die Schiffbrüchigen, die in den
Hafenstädten, in denen sich die ersten Gemeinden konzentrieren, besonders
zahlreich sind (...). In Rom wurden leidende und gebrechliche Sklaven oft auf
der Tiberinsel ausgesetzt und dem Gott Äskulap überlassen. Die Vernachlässigung
ging so weit, daß Kaiser Claudius die Herren verpflichtete, ihre Sklaven zu
pflegen. Er setzte ebenfalls fest, daß die Geheilten freizulassen seien. Ein
Herr, der einen kranken Sklaven, um ihn nicht pflegen zu müssen, tötete, sollte
wegen Mordes verfolgt werden. Dieses Gesetz spricht Bände über die
Unmenschlichkeit römischer Sitten zu einer Zeit, da die Zivilisation in hoher
Blüte steht.«17
Dem steht
die Liebe der Christen zueinander gegenüber, die einer der ersten christlichen
Apologeten - der Athener Aristides - in seiner an Kaiser Hadrian gerichteten
Apologie so zusammenfaßt: »Sie lieben einander. Die Witwen mißachten sie nicht;
die Waisen befreien sie von dem, der sie mißhandelt. Wer hat, gibt neidlos dem,
der nicht hat.«18
Das
Seid
demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe
ist weder bloße Anleitung zum zivilisierten Umgang miteinander noch ein
allgemeiner Aufruf zu einer menschenfreundlicheren Gesinnung. Der an die
Christen ergangene Ruf kommt aus der Quelle der Liebe, er kommt vom dreifaltigen
Gott. Deshalb verbindet der Apostel die Ermahnung zur geschwisterlichen Liebe
mit Worten, die er wahrscheinlich aus der urchristlichen Taufliturgie übernimmt
und die auf das Wesen Gottes selbst, Urquell der Einheit, verweisen:
Ein Leib
und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung
gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der
über allem und durch alles in allem ist.
Prüfstein
der Liebe ist das entschlossene Zeugnis für den eigenen Glauben. Die
Unerschrockenheit der Zeugen mitten in den Verfolgungen festigt den Glauben
aller, wie wir bei Tertullian lesen: »Wir wachsen weiter mit jedem Mal, da ihr
uns niedermäht. Das Blut der Märtyrer ist der Same der Christenheit.«19
Die
Apostelbriefe des Neuen Testaments lassen aber auch auf betrübliches Verhalten
bei den Christen der Urzeit schließen, auf Sünde, Verrat, ja sogar Spaltung. Am
Ende unseres Gebetes wollen wir dies nicht vergessen; denn auch das soll uns -
wie die Festigkeit eines Glaubens, der sich in Einheit und Brüderlichkeit
ausdrückt - eine Lehre sein.
4,32-37. -
Johannes Chrysostomos,
Homilien
über die Apostelgeschichte,
11. -
vgl.
10,16. -
vgl.
12,25. -
vgl.
16,18. -
Johannes Paul II.,
Ansprache
in Davao City (Philippinen),
20.2.1981. -
Irenäus von Lyon,
Gegen die
Häresien,
I,10,2. -
17,21. -
12,25. -
Thomas von Aquin,
Summa
Theologica,
I,q.30,a.3. -
Katholischer Erwachsenen-Katechismus,
Bonn 1985, S.281. -
II.Vat.Konz., Konst.
Lumen
gentium,
13. -
Irenäus von Lyon,
Gegen die
Häresien,
IV,33,7. -
Johannes Paul II.,
Predigt
beim Wortgottesdienst mit den Mitgliedern der Römischen Kurie,
23.1.1981. -
4,1-5. -
A.Hamman,
Die
ersten Christen,
Stuttgart 1985, S.143. -
ebd., S.150-151. -
Aristides,
,
15,5-7. -
Tertullian,
Apologeticum,
50,13.