KARFREITAG
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der herr
stirbt am kreuz
Im
Zeichen des Kreuzes.
Ärgernis, Torheit, Sinn, Trost.
Zu Füßen des Kreuzes: Maria wird uns zur Mutter gegeben.
I. Jesus
hängt am Kreuz, zur Genugtuung und Freude seiner Feinde. Die Kirche sieht eine
andere Freude auf die Welt herabkommen. Sie singt bei der Kreuzverehrung in der
Liturgie dieses Karfreitags:
Dein
Kreuz, o Herr, verehren wir, und deine heilige Auferstehung preisen und rühmen
wir: Denn siehe, durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt1
Jesu
ganzes Leben kulminiert in diesem höchsten Augenblick. Seine messianische
Verkündigung und sein Wirken unter den Menschen vollenden sich hier, im
Kreuzestod und in der Auferstehung.
Erschöpft
und nach Atem ringend hat unser Herr den kleinen Hügel, den man Schädelstätte
nennt, bestiegen. Der Evangelist verbirgt die Grausamkeit des Geschehens hinter
den schlichten Worten:
Dort
kreuzigten sie ihn
»Der Verurteilte wurde entkleidet, brutal zur Erde gestoßen und mit
ausgebreiteten Armen an das am Boden liegende Querholz angenagelt. Darauf wurde
dieser Querbalken mit dem Körper auf den senkrechten, bereits im Boden
eingerammten Pfahl emporgehoben und daran befestigt. (...) Dann wurden die Füße
angenagelt. Damit der schwer herunterhängende Körper nicht aus den Nägeln riß,
war in der entsprechenden Höhe im senkrechten Stamm ein sogenannter Sitzpflock
eingelassen, der den Körper zwischen den Beinen stützen sollte.«3
Der Herr
hängt nunmehr am Kreuz. Das schändliche Marterwerkzeug wird zum Lebensbaum. Die
Geste der Verzweiflung - die ausgebreiteten Arme - wird zu einer Geste der
universalen Versöhnung.
Sein
Kreuz wird durch die Jahrhunderte geliebt und verehrt: von bekannten wie
namenlosen Märtyrern, die Zeugnis geben für die Wahrheit, und von unzähligen
Bedrängten, Verlassenen, Verfolgten und Notleidenden, die im Zeichen des Kreuzes
Hoffnung und Trost finden; und auch von Männern und Frauen, die - unscheinbar in
ihrem Alltag lebend - sich immer wieder am Zeichen des Kreuzes orientieren.
Jetzt ist
Jesu Kreuz aufgerichtet. Es herrscht ein dichtes Gedränge: Schaulustige und
Vorüberziehende, Ankläger, die ihrem Spott freien Lauf lassen, und wohl auch
solche, die dabei waren, als Jesus die Volksmenge segnete, sie lehrte und Wunder
wirkte. Dennoch kommt kein Vorwurf von den Lippen des Herrn, nur Erbarmen. Man
reicht ihm Wein mit Myrrhe gemischt. Es war üblich, den Verurteilten diese
Erleichterung zu gewähren, die den Schmerz dämpfte und die Qualen milderte.
Der Herr
kostete nur etwas davon, gleichsam als Zeichen des Dankes, trank aber nicht. Er
wollte den Kelch des Schmerzes bis zur Neige austrinken. »Warum so viel Leid?«
fragt der heilige Augustinus. »Alles, was er erlitt, ist das Lösegeld für unsere
Erlösung«4, lautet seine Antwort.
Christus
will so leiden, damit wir die Größe seiner Liebe und die Erbärmlichkeit der
Sünde erkennen. Er gibt sich ganz hin, damit auch wir uns großzügig hingeben.
II. Die
Kreuzigung galt als die grausamste und schimpflichste Hinrichtungsart, die es im
Altertum gab. Sie wurde über Schwerverbrecher verhängt. Sie war so entehrend,
daß ein römischer Bürger nicht gekreuzigt werden durfte. In dieser heidnischen
Einschätzung schwingt etwas von jenem Ärgernis des Kreuzes mit, das seit der
Zeit der Apostel bis in unsere Tage besteht: das Drama des Kreuzes ist nach wie
vor
für Juden
ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit.
Auch heute widerstrebt vielen ein Gott, der Mensch wird und am Kreuze stirbt.
Für das Gefühl ist es ein Greuel, für den Verstand eine Sinnlosigkeit und ein
Ärgernis, das, angesichts der Wirklichkeit des Leidens, zu einer Stellungnahme
herausfordert. Die Versuchung, dem Kreuz seinen Sinn abzusprechen, liegt in der
Natur des Menschen, in der alles nach Glück strebt.
Aber die
Nähe zum Herrn in der christlichen Nachfolge erlaubt es nicht, das Leben Christi
zwar zu würdigen, das Kreuz jedoch auszusparen. Unsere Erlösung vollendet sich
nach dem unergründlichen göttlichen Ratschluß am Kreuz. Erst vom Kreuz her wird
der Schmerz in der Welt - ohne daß er aufhört, ein Rätsel zu sein - sinnvoll.
Erst angesichts des Kreuzes können wir die Bosheit der Sünde und die Liebe
Gottes zu jedem einzelnen Menschen erahnen. So ist das Kruzifix das Kennzeichen
unseres Glaubens, das uns niemals gleichgültig lassen kann.
»Der Herr
ist ans Kreuz geheftet. Mitleidlos haben die Henker das Urteil vollstreckt.
Jesus hat sie gewähren lassen, mit unendlicher Sanftmut.
Nötig
waren solche Folterqualen nicht. Er hätte sie vermeiden können: die Bitternisse
und Demütigungen, die Mißhandlungen, das abscheuliche Urteil, die Schande an der
Richtstätte, die Nägel, den Lanzenstoß ... Aber er hat alles das erdulden wollen
für dich und für mich. Und wir? Noch immer wollen wir uns ihm entziehen?
Es kann
geschehen, daß du einmal - allein, vor einem Kruzifix - zu weinen beginnst.
Halte die Tränen dann nicht zurück ... Aber sieh zu, daß dein Wehklagen sich in
einem Vorsatz niederschlägt.«6
III. Noch
auf Golgota begann der Baum des Kreuzes zu erblühen. Einer der mit Jesus
Gekreuzigten erkennt seine Schuld und wendet sich an den Herrn:
Jesus,
denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.
Vielleicht hatte er schon manches von Christus gehört: wie er mit Worten des
Lebens das Volk begeistert und geheimnisvolle Zeichen einer verborgenen Macht
gewirkt hatte. Nun aber hat er ihn in seiner Ohnmacht erlebt: Schweigen, Dulden,
Sanftmut, Barmherzigkeit, Mitleid inmitten einer großen Erschöpfung, eines
schrecklichen Schmerzes. Er wird zum Jünger des Herrn, dem er nur eine kurze
Wegstrecke nahe gefolgt war. Anders als die ersten Jünger, hat er kein Wunder
erlebt, nur seine Art zu leiden. Er ist der erste in der langen Reihe von
Menschen, die sich gerade beim Betrachten der Passion zu Christus bekehren. Der
Herr muß ihm freudig geantwortet haben:
Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.
Die
Passion unseres Herrn wirkt durch die Zeiten fort. Sie hat der ganzen Welt
Frieden gebracht, Gnade, Vergebung und das Glück für die Seelen - die Erlösung.
Aber sie erfordert unser Mitgehen: nicht nur indem wir das Geschehene betrachten,
sondern indem wir in der Kraft dieser Betrachtung und der damit verbundenen
Gnade das eigene Leid annehmen. Denn jeder kann mit Recht, wie Paulus, sagen:
Der Sohn Gottes hat
mich
geliebt und sich für mich hingegeben.
Der Apostel sagt ganz konkret:
mich
geliebt.
Auch uns, uns alle. Bedenken wir dies in unserem persönlichen Gebet und jedesmal,
wenn wir an der heiligen Messe teilnehmen. Denn »sooft das Kreuzesopfer, in dem
Christus, unser Osterlamm, dahingegeben wurde, auf dem Altar gefeiert wird,
vollzieht sich das Werk unserer Erlösung g«9.
Das Werk
unserer Erlösung ... »Jenen Sturz des Menschen in das Nichts, der sich in der
Empörung gegen Gott vollzog, und worin das Geschöpf nur zerbrechen und
verzweifeln konnte, hat er in der Liebe, wissenden Geistes, freien Willens,
fühlenden Herzens durchgelebt. (...) Niemand ist so gestorben, wie Christus
starb, weil er das Leben selbst war. Niemand ist für die Sünde gestraft worden
wie er, weil er der Reine war«10.
Die
Mutter des Herrn, einige Frauen und Johannes, der jüngste unter den Aposteln,
stehen am Fuß des Kreuzes.
Als Jesus
seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner
Mutter: Frau, siehe dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter!
Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich
Nachdem sich uns Jesus im Letzten Abendmahl selbst hingegeben hat, schenkt er
uns jetzt auch seine Mutter, das Geschöpf, das er auf Erden am meisten liebte.
Diese
Geste hat einen doppelten Sinn. Er sorgt so für seine Mutter in Erfüllung des
Vierten Gebotes und gibt sie gleichzeitig uns zur Mutter. »So ging auch die
selige Jungfrau den Pilgerweg des Glaubens. Ihre Vereinigung mit dem Sohn hielt
sie in Treue bis zum Kreuz, wo sie nicht ohne göttliche Absicht stand (vgl.
19,25), heftig mit ihrem Eingeborenen litt und sich mit seinem Opfer in
mütterlichem Geist verband, indem sie der Darbringung des Schlachtopfers, das
sie geboren hatte, liebevoll zustimmte. Und schließlich wurde sie von Christus
Jesus selbst, als er am Kreuz starb, dem Jünger zur Mutter gegeben«12.
Im Hymnus
Stabat
Mater
heißt es: »Christi Mutter stand mit Schmerzen bei dem Kreuz und weint' von
Herzen, als ihr lieber Sohn da hing.« Dann beten wir: »Daß ich Christi Tod und
Leiden, Marter, Angst und bittres Scheiden fühle wie dein Mutterherz«13»
Karfreitagsliturgie,
Gesang
während der Kreuzverehrung.
-
19,18. -
Gerhard Kroll,
Auf den
Spuren Jesu,
Stuttgart 1988, S.360. -
Augustinus,
Erklärung
der Psalmen
(21), 11,8. -
vgl.
1,23. -
J. Escrivá,
Der
Kreuzweg,
XI,1. -
23,43. -
2,20. -
II. Vat. Konz., Konst.
Lumen
gentium,
3. -
R. Guardini,
,
Würzburg 1951, S.474. -
19,26-27. -
II. Vat. Konz., Konst.
Lumen
gentium,
58. -
Hymnus
Stabat
Mater.