JAHRESKREIS
28. WOCHE - DIENSTAG
41
VERGIB
UNS UNSERE SCHULD
Die Sünde
bringt Zwiespalt.
Sündenbewußtsein angesichts der göttlichen Barmherzigkeit.
Bereitschaft, unseren Mitmenschen zu vergeben.
I.
Vergib uns
unsere Schuld, beten wir jeden Tag im Vaterunser. Wir beginnen
unsere Zeit des Gebetes, indem wir uns in Demut und Reue die Bitte des Zöllners
zu eigen machen:
1
Wenn wir
sagen, daß wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre, und die
Wahrheit ist nicht in uns,
heißt es im ersten Johannesbrief. Im Alten3
wie im Neuen Testament4
zeigt sich die traurige Wirklichkeit der Sünde. Das Lehramt der Kirche greift
sie auf, wenn es sagt: »Was uns aus der Offenbarung Gottes bekannt ist, steht
mit der Erfahrung in Einklang: der Mensch erfährt sich, wenn er in sein Herz
schaut, auch zum Bösen geneigt und verstrickt in vielfältige Übel, die nicht von
seinem guten Schöpfer herkommen können (...). So ist der Mensch in sich selbst
zwiespältig.
Deshalb
stellt sich das ganze Leben der Menschen, das einzelne wie das kollektive, als
Kampf dar, und zwar als einen dramatischen, zwischen Gut und Böse, zwischen
Licht und Finsternis.«5
Was aber
ist die Sünde? Nicht selten verwechseln wir sie mit ihren Folgen. Uns betrübt
das eigene Mißlingen, die Demütigung, wieder schwach gewesen zu sein, oder der
Schaden, den wir anderen zugefügt haben. Dies ist jedoch nicht das Eigentliche
der Sünde. Ihr Wesen ist die Gott zugefügte Beleidigung:
6,
bekennt König David, nachdem er die Folgen seiner bösen Tat an Urias erkannt
hat: Er hatte mit der Frau seines treuen Dieners Ehebruch begangen und ihn durch
eine List in den Tod geschickt. Seine Reue bleibt nicht beim Betrachten der
bösen Folgen seiner Tat, des Ehebruchs, der Tötung eines Unschuldigen, des
Machtmißbrauchs, des Ärgernisses, stehen. Er sieht zuallererst die Gott
zugefügte Beleidigung.
Ein
Verstoß gegen das Gottgewollte kann Leid und Unglück über uns selbst oder über
andere Menschen bringen, aber Sünde im eigentlichen Sinne gibt es nur gegen
Gott. Ich habe
mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt7,
bekennt der verlorene Sohn bei seiner Heimkehr ins Vaterhaus. »Ohne diese Worte
- ich habe
gesündigt - kann der Mensch nicht in das Geheimnis des Todes und
der Auferstehung Christi wirklich eintreten, um daraus die Früchte der Erlösung
und der Gnade zu gewinnen. Diese Worte sind der Schlüssel. Sie sind ein Erweis
der inneren Öffnung des Menschen auf Gott hin:
Vater, ich habe mich gegen dich
versündigt (...). Noch deutlicher sind die Worte des Psalmisten:
Tibi soli
peccavi - gegen dich allein habe ich gesündigt (Ps
51,6). Dieses
Tibi soli verdrängt nicht die weiteren Dimensionen der Sünde als
eines sittlichen Übels gegenüber der menschlichen Gemeinschaft. Jedoch ist >die
Sünde< hauptsächlich und entscheidend ein sittliches Übel in bezug auf Gott
selbst (...). Aber die
Welt - die heutige Welt
- und der Fürst
dieser Welt geben sich alle Mühe, um diesen Aspekt im Menschen zu
tilgen und zu vernichten.
Die
Kirche dagegen gibt sich vor allem Mühe, damit jeder Mensch als einzelner mit
seiner eigenen Sünde vor Gott hintritt und als Folge davon die heilbringende
Sündenvergebung entgegennimmt, die im Leiden und in der Auferstehung Christi
enthalten sind.«8
Danken
wir Gott dafür, daß wir uns an ihn, die Quelle der Barmherzigkeit, in
aufrichtiger Reue wenden dürfen. Der Herr schenkt uns seinen Frieden, wenn wir
vor ihm bekennen: Vater,
vergib uns unsere Schuld.
II.
Wenn wir unsere
Sünden bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt
uns von allem Unrecht.9
»Diese inspirierten Worte, an den Anfängen der Kirche geschrieben, leiten besser
als jeder andere menschliche Ausdruck die Betrachtung über die Sünde ein, die
eng mit jener über die Versöhnung verbunden ist.
Sie
berühren das Problem der Sünde in seinem anthropologischen Horizont als einen
festen Bestandteil der Wahrheit über den Menschen; aber sie stellen es zugleich
in den göttlichen Horizont, in welchem die Sünde der Wahrheit der göttlichen
Liebe begegnet, die gerecht ist, großherzig und treu und sich besonders im
Vergeben und Erlösen offenbart.«10
Immer
gilt: Wenn das
Herz uns auch verurteilt - Gott ist größer als unser Herz11.
Er ist immer bereit zu verzeihen. Er sagt uns, daß er gekommen ist,
um zu suchen und
zu retten, was verloren ist.12
Aber der Herr erwartet von uns mehr als nur ein bloßes Eingeständnis unserer
Sündhaftigkeit.
Er
erwartet von uns, »daß das Andenken an die Sünden uns bitter sei, daß es unser
Herz durchbohre, die Seele rühre und brennenden Schmerz verursache.«13
Die
Evangelien zeigen uns, wie Christus sich immer wieder an die Sünder wendet und
sie aufsucht, weswegen ihn seine Widersacher oft tadeln. Seine Nähe bewirkte,
daß Menschen sich ihrer Sünden bewußt werden.
Die Bitte
Vergib uns
unsere Schuld wäre ohne Sündenbewußtsein unmöglich. »Dieses
Bewußtsein hat seine Wurzel im Gewissen des Menschen und ist gleichsam dessen
Barometer.
Es ist an
das Bewußtsein für Gott gebunden, da es sich von der bewußten Beziehung
herleitet, die der Mensch zu Gott, seinem Schöpfer, Herrn und Vater, hat.«14
In
unserer Zeit wird das Sündenbewußtsein durch vieles verdunkelt. Die
verschiedenen Spielarten eines Humanismus ohne Gott verkürzen »Sünde« auf
»Beleidigung eines Menschen« Auch eine rein soziologisch-psychologische Sehweise
verleitet dazu, jede Schuld auf die Gesellschaft abzuwälzen und ein persönliches
Vergehen nicht mehr anzuerkennen. Viele erheben die Zweckmäßigkeit oder das
eigene Wohlergehen zum Prinzip des Lebens.
A»l dies
begünstigt den Verfall des Sittlichen, so daß immer aktueller wird, was Pius
XII. schon vor Jahrzehnten sagte: »Die Sünde des Jahrhunderts ist der Verlust
des Bewußtseins von Sünde.«15
Mit der
Relativierung des Sündenbewußtseins geht eine Relativierung des
Schuldbewußtseins einher. Dazu trägt die trügerische Vorstellung bei, zeitlicher
Abstand lasse die Schuld schwinden. Thomas von Aquin sagt: »Zweierlei ist an der
Sünde zu bedenken: der schuldhafte Akt und die aus ihm sich herleitende
macula«
die Befleckung.16 »Die
Bewegung des Sich-Entfernens
(von Gott), die den Akt der Sünde ausmacht, hört zwar eines Augenblicks auf und
ist dann Vergangenheit; das Entferntsein
aber ist weiterhin Präsens; es wird nicht schon dadurch aufgehoben, daß man
stehenbleibt. (...)
Vielleicht gehört es zu den unausrottbaren Selbsttäuschungen des Menschen, zu
meinen, sittliche Schuld könne >von selbst< verschwinden, sozusagen auf Grund
von >Verjährung<, einfach auf die Weise, daß >Gras darüber wächst<.«17
Gegen
diese Selbsttäuschung erhebt sich das
peccavi - ich habe
gesündigt, ich bin im Zustand der Sünde -, die Anerkennung, daß nach einer
sündigen Tat »ein Versehrtsein, eine Wunde, eine Befleckung«18 zurückbleibt.
Wer außer
Gott kann Sünden vergeben?
Das sahen die Pharisäer klar. Wenn wir jeden Tag bitten:
Vergib uns unsere Schuld,
so sagen wir dem Herrn: Vergib uns unsere bösen Taten und hilf uns, ihre Spuren
zu tilgen.
III.
Vergib uns
unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern, beten wir
jeden Tag. Warum vergeben? Der Herr setzt voraus, daß jener, der Gott um
Vergebung bittet, selbst großherzig vergibt. Er betont es mehrfach:
Wenn ihr den
Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch
vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater
eure Verfehlungen auch nicht vergeben.20
»Christus leitet seine Mahnung weder aus sozialen, noch aus ethischen, noch
überhaupt aus innerweltlichen Motiven ab, sondern verbindet die Vergebung des
Menschen mit der Gottes. Dieser ist der zuerst und eigentlich Vergebende, der
Mensch aber Gottes Kind. So entspringt sein Vergeben aus dem des Vaters im
Himmel (...). Das bedeutet nicht, Gott verzeihe uns deshalb, weil unsere Güte
zum Nebenmenschen uns dessen würdig machte. Seine Verzeihung ist Gnade; sie
findet Würdigkeit nicht vor, sondern begründet sie.
Innerhalb
dieses Gnadendaseins aber gibt es eine Öffnung des Herzens für Gottes Großmut:
die Bereitschaft, dem Nächsten dessen Unrecht zu verzeihen.«21
Der
Zusammenhang zwischen der göttlichen Vergebung unserer Schuld und der eigenen
Vergebung der Schuld unseres Nächsten entspricht jener sittlichen Faustregel im
Evangelium: Nach
dem Maß, mit dem ihr meßt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden.22
Der Kirchenvater Johannes Chrysostomos sagt: »Wir müssen ja nicht nur durch die
Gnade Kinder Gottes werden, sondern auch durch die guten Werke.
Nichts
macht uns aber Gott so ähnlich, als sich gegen die Bösen und Missetäter
versöhnlich zeigen, wie übrigens der Herr schon früher darlegte, da er sagte,
die Sonne gehe über die Bösen wie über die Guten auf.«23
Gott hat
uns in seiner Barmherzigkeit viel vergeben. Wenn wir uns dies dankbar
vergegenwärtigen, wird es uns leichter fallen, selbst großherzig zu sein, wenn
wir Unrecht erfahren oder beleidigt werden oder meinen, beleidigt worden zu
sein. Denn gelegentlich kann es geschehen, daß eine übertriebene Empfindlichkeit
uns etwas suggeriert, was einer gelasseneren Betrachtung nicht standhält.
Manchmal
jedoch handelt es sich wirklich um Beleidigungen - mehr oder weniger bewußt,
mehr oder weniger boshaft. Dann regen sich in uns elementare Gefühle der
natürlichen Abwehr, Groll, ja, Haß oder sogar Rachelust, und es meldet sich der
Gedanke an die verletzte Gerechtigkeit. Gerade dann gilt es, das verwundete Ich
vor den barmherzigen Gott zu schleppen - vor den Gott, dessen Güte wir selbst so
oft verletzt und dessen Barmherzigkeit wir so häufig mißbraucht haben. Wir
werden bei ihm Frieden finden.
18,13. -
1,8. -
vgl.
9,2; 14,4;
20,9;
13,1-4; 51,1ff usw. -
vgl.
3,10-18. -
II.Vat.Konz., Konst.Gaudium
et spes,
13. -
12,13. -
15,18. -
Johannes Paul II.,
Ansprache
beim Angelus-Gebet,
16.3.1980. -
1,9. -
Johannes Paul II., Apost. Schreiben
Reconciliatio et Paenitentia,
2.12.84, 13. -
3,20. -
19,10. -
Der
römische Katechismus,
IV,14,6. -
Johannes Paul II., Apost. Schreiben
Reconciliatio et Paenitentia,
2.12.84, 18. -
Pius XII,
,
26.11.1946. -
Thomas von Aquin,
Summa
Theologica,
I-II,q.87,a.6. -
J.Pieper,
Über den
Begriff der Sünde,
München 1977, S.109. -
ebd., S.106. -
5,21. -
6,14-15. -
R.Guardini,
,
Würzburg 1951, S.356. -
6,38. -
Johannes Chrysostomos,
Homilien
über das Matthäusevangelium,
19,7.