JAHRESKREIS
28. WOCHE - FREITAG
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DER
SAUERTEIG DER PHARISÄER
Die Maske
der Heuchelei.
Innere Wahrhaftigkeit.
Christus, die Quelle der Wahrheit.
I. Die
Volksmenge drängte sich um Jesus. Dieser
wandte
sich zuerst an seine Jünger und sagte: Hütet euch vor dem Sauerteig der
Pharisäer, das heißt vor der Heuchelei.
Was will
der Herr damit sagen? Der Ausdruck für »Heuchler« der uns im griechischen Text
des Evangeliums begegnet, bedeutet zunächst »Schauspieler« Die griechischen
Schauspieler trugen eine Maske, sie verbargen ihr wahres Gesicht hinter ihr und
stellten eine Person dar, die sie in Wirklichkeit nicht waren. Mit Sauerteig ist
die pharisäische Geisteshaltung gemeint: die Heuchelei, das Schauspielern, »er
Drang, Schein für Sein auszugeben. Der Herr warnt die Seinen: ähnlich wie der
Sauerteig, der - verborgen wirkend - die Mehlmasse durchsäuert, ist die
Heuchelei ansteckend.
Die
folgende Äußerung bedeutet - auf den konkreten Fall bezogen -, daß dem Heuchler
einmal die Maske vom Gesicht gerissen wird; wir dürfen das Wort aber auch im
Sinne des Offenbarwerdens der noch verhüllten Verkündigung Jesu verstehen:
Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was
nicht bekannt wird. Deshalb wird man alles, was ihr im Dunkeln redet, am hellen
Tag hören, und was ihr einander hinter verschlossenen Türen ins Ohr flüstert,
das wird man auf den Dächern verkünden.2
Natürlich
gab es unter den Pharisäern viele fromme und gerechte Menschen, die aufrichtig
das Reich Gottes suchten. Einige von ihnen begegnen uns im Evangelium. Indessen
birgt die Überbetonung des Äußeren nicht nur die Gefahr der Verstellung, sondern
auch die Verzeichnung echter Frömmigkeit: man will den Splitter aus dem Auge des
Mitmenschen ziehen, bemerkt aber den Balken im eigenen Auge nicht,
man übersieht die wahre Herzensreinheit und ist geneigt, sich die eigene
Rechtschaffenheit als selbsterbrachte Leistung zuzurechnen, ohne ein Gespür für
die Geschenke Gottes. Deshalb sagt der Herr ein anderes Mal zu ihnen, sie seien
wie die
Gräber, die außen weiß angestrichen sind und schön aussehen; innen aber sind sie
voll Knochen, Schmutz und Verwesung.
Was ist
dies anders als ein Doppelleben? Masken, Schein, Lüge, die eitle Sorge, vor den
Menschen, nicht vor Gott etwas zu gelten. Der Herr aber will die Seinen, denen
die Wahrheit alles bedeutet, aus einem Guß.
II. Das
Gegenteil von Heuchelei ist Liebe zur Wahrheit, Einheit des Lebens, Einklang
zwischen innen und außen. Der Herr will, daß das Verhalten seiner Jünger von
einer inneren Wahrhaftigkeit getragen wird, die sich nach außen in
Glaubwürdigkeit kundtut:
Euer Ja
sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen5
Gedanken
und Wort, Wort und Verhalten sollen in uns so sein, daß die Mitmenschen sich auf
uns verlassen können, ohne die Angst, getäuscht zu werden. Wir sollen die
Wahrheit lieben, sprechen und tun - fern jeder Heuchelei oder Doppelzüngigkeit.
Dies ist mehr als lediglich eine Anstandsregel zur Gewährleistung eines
sinnvollen menschlichen Zusammenlebens. Freilich erfordert das Bemühen, es immer
- auch in scheinbar belanglosen Situationen - mit der Wahrheit zu halten, Arbeit
an sich selbst. Auch dies ist Nachfolge Christi.
Das
Gegenteil ist der
Mann mit
zwei Seelen, unbeständig auf all seinen Wegen,
wie es im Jakobusbrief heißt. Ein solcher wird »schauspielern«
und je nach Publikum sich so oder anders verhalten, heute dies behaupten und
morgen das Gegenteil. Ein Kirchenvater sagt, dies sei bei einem Menschen der
Fall, »der hier sich mit der Welt anfreunden und dort mit Gott herrschen will«.7
Gerade in
unserer Zeit ist es für Christen besonders wichtig, Menschen aus einem Guß zu
sein. Es gibt Situationen, in denen es innere Kraft erfordert, sich an die
Wahrheit zu halten. Wir möchten stattdessen unser wahres Gesicht hinter einer
Maske verbergen aus Angst, in Widerspruch zu einer herrschenden Meinung zu
geraten.
Die Liebe
zur Wahrheit verlangt, daß wir nicht nur die Lüge meiden, sondern auch jede
Verzerrung der Wahrheit, zum Beispiel durch Übertreibung oder Prahlerei. Und die
Wahrhaftigkeit schließt auch das Bemühen ein, das wahre Wort in geeigneter Weise
zu sagen. Natürlich gibt es Fälle, in denen wir nicht verpflichtet sind, ja, die
Gerechtigkeit es sogar verlangt, daß wir die Wahrheit nicht preisgeben, etwa
wenn es um das Berufsgeheimnis geht. Auch kann es sein, daß der Fragende, weil
er aus unlauterer Absicht fragt, kein Recht auf eine Antwort hat.
Ahmen wir
Christus nach in seiner Liebe zur Wahrheit. »In einem Wörterbuch fandest du die
Synonyme für >unaufrichtig<: doppelzüngig, schlau, verstellt, arglistig ... Du
hast dann nicht weitergelesen, sondern an den Herrn die Bitte gerichtet, daß du
niemals solche Bezeichnungen verdienen mögest.
Und von
neuem nahmst du dir vor, die Aufrichtigkeit - eine natürliche und eine
übernatürliche Tugend zugleich - noch mehr zu vervollkommnen.«8
III.
Jesus sagt:
Ich bin
der Weg und die Wahrheit und das Leben
Uns sind die Worte aus dem Johannesevangelium wohlvertraut, die die
Menschwerdung des Sohnes Gottes -
das Wort ist Fleisch geworden
- mit der Aussage verbinden:
Voll
Gnade und Wahrheit.
Denn:
Die Gnade
und die Wahrheit kamen durch Jesus Christus,
der
für die
Wahrheit Zeugnis
ablegt.
Er kündet uns die Wahrheit, die er
von Gott
gehört
hat,
wie Jesus in einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit seinen Gegnern sagt.
Während der Teufel
ein
Lügner und der Vater der Lüge
ist,
ist Gott die Wahrheit selbst und Ursprung der Wahrheit.
Hier
erkennen wir, daß »die Wahrheit sprechen« kein isoliertes Gebot ist, sondern
eine Konsequenz unserer Verankerung in Jesus Christus, der selbst die Wahrheit
ist. »Jesus Christus geht dem Menschen jeder Epoche, auch der unseren, mit den
gleichen Worten entgegen: >Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit
wird euch frei machen< (
8,32). Diese Worte schließen eine wesentliche Forderung und zugleich eine
Ermahnung ein: die Forderung eines ehrlichen Verhältnisses zur Wahrheit als
Bedingung einer authentischen Freiheit; und auch die Ermahnung, daß jede nur
scheinbare Freiheit, jede oberflächliche und einseitige Freiheit, die nicht von
der ganzen Wahrheit über den Menschen und die Welt geprägt ist, vermieden werde.
Auch heute, nach 2000 Jahren, erscheint uns Christus als der, der dem Menschen
die Freiheit bringt, die auf der Wahrheit begründet ist.«15
Wahrhaftigkeit ist zuerst eine innere Haltung: im Einklang mit Gott und mit sich
selbst zu sein. Gibt es etwas schöneres als über einen Menschen, wie der Herr
über Natanael, zu sagen:
Da kommt
ein echter Israelit, ein Mann ohne Falschheit
Lüge oder Heuchelei sind Zeichen eines inneren Zwiespalts, eines gebrochenen
Verhältnisses zu sich selbst.
Unsere
Zeit scheint für Echtheit, Authentizität, Glaubwürdigkeit besonders empfänglich
zu sein; doch andererseits auch, und vielleicht stärker als in früheren Zeiten,
für Manipulationen, so daß man sie »die Zeit der Betrüger« nennen könnte. Dieser
Gefährdung unterliegen besonders die Massenmedien: »Gewitzte Leute können diese
Medien so einsetzen, daß die Leser und Zuschauer geradezu von wohlklingenden
Phrasen überschüttet werden, deren Überredungskraft genauso groß ist wie ihre
Unverständlichkeit. So können diese in sich äußerst nützlichen Medien bewirken,
daß nach und nach der beste Vater von seinen Söhnen gehaßt wird und daß weiß zu
schwarz und schwarz zu weiß wird.«17 Hier bietet sich uns ein weites Feld des
Apostolates, besonders in so grundlegenden Fragen wie der Verteidigung des
Lebens, der Würde der Familie, der sozialen Gerechtigkeit ... Ein Leserbrief,
ein Anruf, eine Wortmeldung in einer öffentlichen Diskussion... mögen im großen
und ganzen wenig bewirken. Dennoch: vielleicht rütteln wir dadurch andere auf.
Und es gibt Fälle, in denen wir es uns einfach selbst schulden, Stellung zu
nehmen.
Nur durch
innere Wahrhaftigkeit können wir Heuchelei, Verstellung und Lüge überwinden. Am
Ende unserer Zeit des Gebetes bitten wir Maria um Offenheit gegenüber dem Wirken
des Heiligen Geistes in uns. Er ist
der Geist
der Wahrheit,
der die Jünger des Herrn
in die
ganze Wahrheit
einführt.18
12,1. -
12,2-3. -
vgl.
6,41. -
23,27. -
5,37. -
vgl.
1,8. -
Beda,
Kommentar
zum Jakobusbrief,
1,8. -
J.Escrivá,
Die Spur
des Sämanns,
Nr.337. -
14,6. -
vgl.
1,14. -
1,17. -
18,37. -
vgl.
8, 40. -
8,44. -
Johannes Paul II., Enz.
Redemptor
hominis,
12. -
1,47. -
Johannes Paul I.,
Ihr
ergebener Albino Luciani,
München 1978, S.122. -
vgl.
16,13.