JAHRESKREIS
10. WOCHE - SAMSTAG
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worte,
die binden
Der Wert
des gegebenen Wortes.
Wahrheit und Zeugnis.
Wahrhaftigkeit und Treue.
I. Der
Eid soll vor Unwahrhaftigkeit schützen. Durch die Anrufung Gottes zum Zeugen
soll der Schwörende zur Wahrhaftigkeit genötigt werden. Zur Zeit Jesu verwarfen
die Rabbiner nicht nur den Meineid, sondern auch das leichtfertige Schwören.
Aber Jesus geht noch darüber hinaus: Mit seinem Wort: Ich aber sage euch, das es
dem Wort Gottes im Alten Testament gleichsetzt, verkündet er: Euer Ja sei ein
Ja, euer Nein ein Nein.1 »Das Gesetz des Alten Bundes hat geboten: Wenn du
schwörst, sieh zu, daß das, was du schwörst, wahr sei. Wenn du Gott etwas gelobt
hast, sieh zu, daß du es haltest. Der Herr sagt: Du sollst überhaupt nicht
schwören. Warum? Weil alles, was du schwörend anrufen könntest, Gott gehört. Er
selbst aber ist die Majestät über allem, der Heilige, Unantastbare, Unnahbare.«2
Schwört
überhaupt nicht. Warum? Der Schwörende »verknüpft die eigene Wahrhaftigkeit mit
der Gottes und fordert ihn auf, dafür einzutreten. Da spricht Jesus: Wessen
unterfängst du dich? Die ganze Majestät der alttestamentlichen Gottesoffenbarung
erhebt sich, welche verboten hatte, auch nur ein Bild von Gott zu formen, da
jedes Bild ihn ins Menschliche zieht. Damit wird nun ganz ernst gemacht, und die
Entscheidung nicht zwischen wahres und falsches Schwören, sondern viel früher
gesetzt: zwischen die Wahrheit Gottes und die Menschenwahrheit. Wie kann der
Mensch, in dem überall Lüge ist, sich mit seiner Aussage neben den heiligen Gott
stellen? Er soll sich vor dem Schwören überhaupt in acht nehmen und Gottes
Majestät so groß im Herzen tragen, daß das einfache >Ja< und >Nein< zuverlässig
wird wie ein Eid. Das Gebot, nicht falsch zu schwören, ist also in einer tiefer
gebundenen Wahrhaftigkeit aufgehoben, die überhaupt nicht mehr schwört, weil sie
Gottes Heiligkeit so rein erkennt und liebt, daß sie seinen Namen nicht mehr in
die eigene Aussage einsetzt; eben dadurch wird aber jede Aussage durch eine neue
und ganz anders innerliche Gewissenhaftigkeit unterbaut.«3 Der Herr will dem
Wort seinen Wert und seine Verläßlichkeit zurückgeben, indem sich der Mensch
allein durch das, was er sagt, gebunden weiß.
»In
Anlehnung an den heiligen Paulus hat die Überlieferung der Kirche das Wort Jesu
so verstanden, daß es den Eid dann, wenn er sich auf eine schwerwiegende und
gerechte Sache (z.B. vor Gericht) bezieht, nicht verbietet.«4 Dann ist Schwören
sogar ein Akt der Tugend der Religion und gereicht dem Namen Gottes zur Ehre,
wenn es »in Wahrheit, Überlegung und Gerechtigkeit«, geleistet wird. Der Prophet
Jeremias hatte schon darauf verwiesen: Schwörst du aufrichtig: So wahr der Herr
lebt!, nach Recht und Gerechtigkeit, dann werden sich Völker mit ihm segnen und
seiner sich rühmen.5
Im
allgemeinen wird unser Wort als Christen genügen, die Wahrheit zu bekräftigen;
denn man soll uns als Menschen kennen, die in allem die Wahrheit suchen und die
ihr Wort bindet. Dies ist das Fundament jeglicher Loyalität und Treue: Christus,
der Familie, den Freunden und dem Geschäftspartner gegenüber.
Aber die
Verläßlichkeit unseres Wortes will Tag für Tag errungen sein: gerade auch in
belanglosen Angelegenheiten oder wenn es darum geht, einen Irrtum zu berichtigen
oder die übernommenen Pflichten beharrlich zu erfüllen.
II. Unser
Herr Jesus Christus sagt von sich selbst, daß er die Wahrheit7 ist; der Teufel
dagegen ist der Vater der Lüge8. Christi Liebe zur Wahrheit läßt ihn die
Heuchelei und Falschheit immer wieder anprangern.9 Ja, die Wahrhaftigkeit ist
ihm so zueigen, daß er sich von ihr besonders angezogen fühlt, wie die Begegnung
mit Natanael durchblicken läßt; der Herr spart nicht mit Anerkennung für seinen
zukünftigen Jünger: Da kommt ein echter Israelit, ein Mann ohne Falschheit.10
Wer in
der Nachfolge des Meisters lebt, muß, ehrlich und aufrichtig, jede Täuschung
fliehen und seinen Umgang mit Gott und seinen Mitmenschen auf Wahrhaftigkeit
gründen.
Die
Wahrheit im Innern zeigt sich durch das Zeugnis nach außen. Christus selbst
versteht sich als Zeuge des Vaters: er redet von dem, was er weiß, und bezeugt
das, was er gesehen hat.11 Die Apostel sollen seine Zeugen sein (...) bis an die
Grenzen der Erde12. Die ersten Christen sind Zeugen Christi vor der Welt. Und
auch wir verstehen uns so. Denn wie sollten Freunde und Kollegen an die Lehre,
die wir ihnen vermitteln wollen, glauben können, wenn unser eigenes Leben nicht
auf einer geraden passionierten Liebe zur Wahrheit gründet? Das Wort Christi
gilt für jeden Christen in seiner Nachfolge: Ich bin dazu geboren und dazu in
die Welt gekommen, daß ich von der Wahrheit Zeugnis ablege.13
In
unserer Zeit ist viel von Taktieren die Rede, ein heikles Verhalten, sobald es
die Wahrheit außer acht läßt, um etwa eine lukrative Position zu ergattern, sich
materielle Vorteile zu verschaffen, eingegangene Bindungen stillschweigend
aufzukündigen oder sich Nachteile zu ersparen. Dies verletzt die Wahrhaftigkeit
und erschwert den Umgang mit dem Herrn, denn Jesus selbst sieht die Liebe zur
Wahrheit als eine notwendige Voraussetzung für die innere Freiheit, die den
Frieden bringt und die Nachfolge ermöglicht: Die Wahrheit wird euch befreien.14
Keine
Wahrheitsfindung ohne Liebe zur Wahrheit, die nicht immer leicht ist, ist sie
doch gelegentlich durch die Sünde, durch Leidenschaften, Stolz oder Habsucht
vergiftet. Man ist dann versucht, sich mit der Unwahrheit - mit der Sünde - zu
arrangieren, die - versteckt oder ganz offen - Vorteile vorschützt: mehr
Ansehen, ein höheres Einkommen oder größere Einflußnahme. Demgegenüber gilt die
klare Mahnung Jesu: Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt
vom Bösen.
Wahrhaftigkeit besteht immer als lebendige Wahrhaftigkeit, in welche die anderen
Elemente des Guten hineinwirken15. Damit die Wahrhaftigkeit Tugend ist, müssen
zum Wahrheitswillen Liebe, Gerechtigkeit, Hochschätzung des Nächsten, Einfühlung
in den Gesprächspartner und je nachdem auch Zivilcourage kommen. Das
Amtsschweigen und die Wahrung der Intimsphäre haben ihre sorgfältig
einzuhaltenden Spielregeln.
III. »Die
Wahrheit im Sinn des redlichen Handelns und aufrichtigen Sprechens heißt
Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit oder Freimut. Die Tugend der Aufrichtigkeit oder
Wahrhaftigkeit besteht darin, daß man sich in seinen Handlungen als wahr
erweist, in seinen Worten die Wahrheit sagt und sich vor Doppelzüngigkeit,
Verstellung, Vortäuschung und Heuchelei hütet.«16
Wer sein
Wort gibt, gibt es in gewisser Weise sich selbst und bindet sich aus dem
Innersten seines Seins. Das Wort Treue gehört zur Mitte des Christseins, heißt
doch ein Christ nicht von ungefähr fidelis, Getreuer: »Das Wort fidelis ist seit
seiner Übernahme durch die christliche Gemeinde verwandt worden, um den durch
die Taufe erlangten Charakter als Glied des Volkes Gottes auszudrücken.«17 Diese
Treue wurzelt in Gott, der nach der Heiligen Schrift der Inbegriff der Treue und
der Vertrauenswürdigkeit ist: Gott ist treu, er wird nicht zulassen, daß ihr
über eure Kraft hinaus versucht werdet.18
»Man darf
alles ..., sich nur nicht dabei erwischen lassen« ist nicht nur eine
kabarettistische Pointe, sondern eine weitverbreitete Richtschnur im täglichen
Handeln. Man ignoriert, daß im religiösen und im bürgerlichen Leben das gegebene
Wort und die in Freiheit eingegangenen Bindungen zu halten sind. Als wäre »in
Leben nach den Tugenden nur für Naivlinge oder Verklemmte, eine vielleicht
wünschenswerte, aber schließlich unerreichbare Zielvorgabe, von der man sich bei
der erstbesten Schwierigkeit dispensieren kann. Dagegen zeigt das Beispiel der
Heiligen, daß es möglich ist, die Tugenden konsequent zu leben. In seiner
Enzyklika Veritatis splendor scheint Papst Johannes Paul II. nicht den
Extremfall christlicher Treue zu benennen, wenn er schreibt: »Als Bekräftigung
der Unverbrüchlichkeit der sittlichen Ordnung kommen im Martyrium die Heiligkeit
des Gesetzes Gottes und zugleich die Unantastbarkeit der persönlichen Würde des
nach dem Abbild und Gleichnis Gottes geschaffenen Menschen zum Leuchten: Es ist
eine Würde, die niemals, und sei es auch aus guter Absicht, herabgesetzt oder
verstellt werden darf, wie auch immer die Schwierigkeiten aussehen mögen.«19
Der
theoretische Wunsch, die Tugenden zu leben und die Sünde zu meiden, genügt
nicht, er muß im Vertrauen auf die Gnade praktisch werden, auch dann, wenn es
uns hart ankommt und scheinbar tausend Gründe für ein Nachgeben sprechen. »Wenn
das Martyrium den Höhepunkt des christlichen Zeugnisses für die sittliche
Wahrheit bildet, zu dem nur vergleichsweise wenige berufen sein können, so gibt
es dennoch ein kohärentes Zeugnis, das alle Christen täglich zu geben bereit
sein sollen, auch auf Kosten von Leiden und schweren Opfern.«20 Gemeint ist das
Zeugnis im Alltag: in einer permissiven Atmosphäre zu bestehen, sich nicht von
einer hedonistischen Lebenssicht anstecken zu lassen, bei der Erziehung der
Kinder in einem Klima des bequemen Nachgebens persönliche Opfer und Nachteile
nicht zu scheuen. Der Christ ist »angesichts der vielfältigen Schwierigkeiten,
welche die Treue zur Unbedingtheit der sittlichen Ordnung auch unter den
gewöhnlichsten Umständen verlangen kann, mit der im Gebet erflehten göttlichen
Gnade zu mitunter heroischem Bemühen aufgerufen, wobei ihn die Tugend des
Starkmutes stützen wird.«21 Hier paßt die Ermahnung des Herrn über das Haus, das
auf Fels gebaut war und nicht einstürzte, als ein Wolkenbruch kam und die
Wassermassen heranfluteten, als die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten22.
Für euch
sei ein Ja ein Ja, ein Nein ein Nein. Unsere Mitmenschen sollen wissen, daß sie
sich auf uns verlassen können, wenn wir einen Vertrag unterschreiben oder unser
Wort geben.
Unsere
Liebe Frau ist die Virgo fidelis, die getreue Jungfrau. Bitten wir sie, uns
Wahrhaftigkeit und Treue im Alltag zu erwirken.
1 Mt
5,33-37. - 2 R.Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S.87. - 3 ebd. - 4 Katechismus
der Katholischen Kirche, 2154. - 5 CIC, can 1199, 1. - 6 Jer 4,2. - 7 Joh 14,6.
- 8 Joh 8,44. - 9 vgl. Mt 23,13-32. - 10 Joh 1,47. - 11 vgl. Joh 3,11. - 12 Apg
1,8. - 13 Joh 18,37. - 14 Joh 8,32. - 15 vgl. R.Guardini, Tugenden, Mainz 1987,
S.22. - 16 Katechismus der Katholischen Kirche, 2468. - 17 A. del Portillo,
Gläubige und Laien in der Kirche, Paderborn 1972, S.16. - 18 1 Kor 10,13. - 19
Johannes Paul II., Enz. Veritatis splendor, 92. - 20 ebd., 93. - 21 ebd. - 22 Mt
7,25.