JAHRESKREIS
26. WOCHE - DIENSTAG
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AUF DEM
WEG NACH JERUSALEM
Das
langsame Reifen der Apostel.
Inneres Wachstum der Seele.
Erforschung des Gewissens und Wachsen in der Liebe.
I.
Als die
Zeit herankam, in der Jesus in den Himmel aufgenommen werden sollte, entschloß
er sich, nach Jerusalem zu gehen,
heißt es bei Lukas.
Der Herr sucht in einem samaritischen Dorf Unterkunft,
aber man nahm ihn nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war.
Er klagt nicht über die Mißachtung der geheiligten Gastfreundschaft, er setzt
seinen Weg einfach fort. Jakobus und Johannes reagieren anders:
Herr, sollen wir befehlen, daß Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet?
Der Herr lehrt sie mit seinem Verhalten in Schweigen die Qualität einer Liebe,
die niemanden ausschließt - auch den nicht, der sich sperrt.
Nicht
selten gewinnen wir am Rande des Evangeliums Einblick in die Unzulänglichkeiten
der Apostel, und auch in ihr langsames Reifen, indem sie Christi Worte und Taten
nach und nach in sich aufnehmen. Der aufbrausende Johannes ist derselbe, der
Jahre später schreiben wird:
Wer nicht
liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe.
Er ist nicht weniger feurig als damals in Samaria, aber - vom Heiligen Geist
geleitet - hat sich seine ungestüme Art gelegt. Nun ist die Liebe das Herzstück
seiner Briefe. Der Kirchenvater Augustinus kommentiert den ersten Johannesbrief
mit den Worten, der Apostel habe ȟber die Liebe vieles, ja eigentlich alles
gesagt«.3
Durch Johannes erfahren wir vom Neuen Gebot, an welchem alle erkennen werden,
daß wir in der Nacholge Christi stehen.4 Johannes gibt weiter, was er vom
Meister gelernt hat: wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine
Liebe ist in uns vollendet.5
Einige
Einzelheiten aus seinen letzten Lebensjahren sind uns bekannt, die zeigen, wie
er die Christen untereinander in ihrer geschwisterlichen Liebe bestärkt.
Hieronymus berichtet, in den Christenversammlungen, zu denen der Apostel wegen
seines hohen Alters von anderen getragen werden mußte, habe er nur dies eine
gesagt: »Meine Kinder, liebet einander.« Als man ihn fragte, weshalb er immer
dasselbe wiederhole, antwortete er: »Weil dies das Gebot des Herrn ist; und wenn
dies erfüllt wird, dann ist das alles.«6
II. An
Pfingsten vollendete der Heilige Geist die innere Gestalt jener gebrechlichen
Menschen, die zu Säulen der Kirche ausersehen waren. Seitdem wirkt er
unaufhörlich in den Seelen der Jünger Christi. Manchmal kommen seine Eingebungen
aus dem eigenen Inneren: wie im Aufleuchten eines Blitzes erblicken wir die
Notwendigkweit einer kleinen Überwindung, Geduld zu üben oder die Sinne in ihre
Schranken zu weisen. Manchmal kommen die Anregungen von außen: in Form eines
guten Rates im geistlichen Gespräch, durch das gute Beispiel eines Menschen, bei
der Lektüre eines Buches. So vervollständigt sich - Schritt für Schritt - der
Bau unseres Lebens, indem der, der den Bauplan kennt -
Das ist
es, was Gott will: eure Heiligung
- uns im passenden Augenblick den geeigneten Stein zum Einfügen zeigt.
Nicht nur
das Wort des Johannes ist für uns bedenkenswert. Auch die Tatsache, daß er, der
so ganz anders veranlagt war, dazugelernt hat. Das Feuer, das im Zorn über die
ungastlichen Samariter aufloderte, wurde in der Nachfolge des Meisters durch
Demut und Selbsterkenntnis zur geläuterten Glut der Milde und Ergebung.
Jesus auf
seinem Weg nach Jerusalem ist ein gutes Beispiel für das innere Vorankommen der
Seele. Jesus weiß mit göttlicher Klarheit, daß am Ende seines Weges die Passion
steht. Doch er weicht nicht zurück. Seinen Jüngern fehlt die Klarheit des
Meisters, aber sie folgen ihm, weil sie sich ganz auf ihn verlassen. Der feurige
Johannes lernt, daß sein Zorn unheilig ist. Er wird weiter lernen müssen und
nach und nach anders werden. Jahre später wird ihm all dies aufgegangen sein und
er wird Gott für seine unausschöpfliche Geduld mit ihm gedankt haben.
Gott ist
die Liebe:
Bitten wir auf unserem Weg der Nachfolge um Treue und danken wir Jesus für seine
Geduld mit uns.
III. Gott
gewährte dem Apostel und Evangelisten Johannes einen besonderen Einblick in die
Mitte unseres christlichen Glaubens, der keine bloße Lehre, keine Ideologie,
keine abstrakte Theorie ist. Er ist Umgang mit einer Person - mit Christus -,
der uns die Fülle des Lebens mitteilt: »Im ersten Augenblick einer konkreten
menschlichen Existenz beginnt etwas, das nie enden wird. Es trägt eine ungeheure
Lebenskraft. Wer fähig ist, sich über alltägliche Dinge der Natur zu wundern,
mag an das Wachsen eines winzigen Samens denken, der schließlich zu einem
mächtigen Baum wird. Die Mitte dieses im konkreten Menschen wachsenden Lebens
ist ein feuriger Liebeskern, der sich immer mehr ausweitet, Jahrhunderte
umgreift, sich nie verbraucht. Seine Dynamik verdankt er der Dreifaltigkeit
Gottes.«8 An diesem Liebeskern der Dreifaltigkeit hat unsere Liebe teil, sie
wächst in uns und will sich im Tun konkretisieren. Das Ringen um das innere
Leben ist ein Ringen um eine wachsende Liebe zu Gott, um immer weniger
Eigenliebe.
Deswegen
ist es nötig, unsere Hauptfehler gut zu kennen, jene Haltungen, die - bei jedem
verschieden ausgeprägt - unser Fühlen, Denken und Handeln beherrschen. Im
eigenen inneren Leben gibt es Schwachstellen, durch die der Feind leicht
eindringen und Verwüstungen anrichten kann. Damit wir sie entdecken können, ist
eine gründliche Selbstprüfung nötig. Erfahrene geistliche Menschen verweisen als
besondere Form der Gewissenserforschung auf das sogenannte »Partikularexamen«.
Es besteht darin, eine Zeitlang regelmäßig einen besonderen Aspekt unseres
inneren Lebens zu prüfen: »Dein Partikularexamen soll darauf zielen, eine
bestimmte Tugend zu erwerben oder einen dich beherrschenden Fehler
auszumerzen.«9
Auch
diese Kleinarbeit an sich selbst gehört zur Nachfolge Christi auf dem Weg nach
Jerusalem, auf dem Weg zur Vollendung. Eins sollen wir jedoch meiden: »Eine
falsche Form von Bewußtheit, die in einem ständigen Durchwühlen des eigenen
Gewissens, in einem fortwährenden Suchen nach der eigenen Vollkommenheit alle
Aufmerksamkeit auf das eigene Ich, seine Sünden und Tugenden lenkt. Es kommt zu
einem religiösen Egoismus, der den Menschen daran hindert, sich einfach dem
Anblick Gottes zu öffnen und von sich fort auf ihn hinzuschauen. Der
eigensinnige, ganz auf sich selbst bedachte Fromme hat keine Zeit mehr, Gottes
Angesicht zu suchen und sein befreiendes erlösendes Ja zu hören.«10 Die
geistliche Aussprache kann uns durch konkrete Ratschläge helfen, in der Liebe
zum Herrn zu wachsen. Immer mehr werden wir sein Angesicht suchen und aus diesem
Suchen wird der Wunsch erwachsen, die wunden Stellen in uns auszumachen, um sie
dann Schritt für für Schritt heilen zu können.
Maria ist
»diejenige, die den Pilgerweg des Glaubens geht, indem sie wie kein anderer
Mensch am Geheimnis Christi teilnimmt.«11 Ihr vertrauen wir uns an.
9,52-56. -
4,8. -
vgl. Augustinus,
Homilien
zum 1. Johannesbrief,
Vorwort. -
vgl.
13,34-35. -
4,12. -
Hieronymus,
Kommentar
zum Galaterbrief,
3,6. -
4,3. -
J.Arquer,
Was ist
die Kirche?
in: Plädoyer für die Kirche, Aachen 1991, S.35. -
J.Escrivá,
,
Nr.241. -
J.Kard.Ratzinger,
Auf
Christus schauen,
Freiburg 1989, S.99. -
Johannes Paul II., Enz.
Redemptoris Mater,
25.