JAHRESKREIS
11. SONNTAG (LESEJAHR C)
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im hause
des pharisäers simon
Reue als
Weg zum inneren Frieden.
Reue und Liebe.
Demütige Selbsterkenntnis und Dankbarkeit.
I. Die
Begebenheit, von der das heutige Evangelium1 berichtet, ist Sondergut des Lukas.
Er erweist sich wieder einmal als der Evangelist, der betont ausführlich das
Erbarmen Jesu gegenüber den Sündern hervorhebt. Jesus ist beim Pharisäer Simon
zu Gast. Er »verkehrt mit Pharisäern und mit Zöllnern und >Sündern< in gleicher
Weise, weil sich seine Sendung auf alle erstreckt. Tischgemeinschaft aber ist im
Orient Symbol für Lebensgemeinschaft.«2
Vielleicht weil Jesu Name in aller Munde war, wollte auch Simon ihn
kennenlernen. Ob er nun Abstand zum umstrittenen Meister demonstrieren wollte
oder die harten Worte des Herrn über die Gefahren der Veräußerlichung
mißverstanden hatte, wie auch immer, Simon vernachlässigt jedenfalls die
üblichen Bekundungen der Gastfreundschaft.
Während
des Mahles betritt eine Frau den Raum: eine Sünderin, die in der Stadt lebte.
Wahrscheinlich hatte sie Jesus zugehört, und seine Worte haben sie in ihrem
Inneren erschüttert. Wir können uns die Kühnheit dieser Tat kaum vorstellen.
Nicht das Eindringen in eine fremde Wohnung ist das Unerhörte, denn die Exegeten
geben uns die überraschende Auskunft, daß in ein Haus, in dem ein Gastmahl
stattfand, im Orient auch Ungeladene als Zuschauer eintreten durften.3 Aber eine
Frau, und dazu eine stadtbekannte Sünderin - das muß die Gäste peinlich berührt,
ja innerlich entrüstet haben.
Die Frau
hatte ein Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl bei sich und trat von hinten an
ihn heran. Dabei weinte sie und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete
seine Füße mit ihrem Haar, küßte sie und salbte sie mit Öl.
Dem
Pharisäer ist ein solcher Überschwang unbegreiflich. Der Herr nimmt jedoch jene
Zeichen der Verehrung wie selbstverständlich an und faßt später deren Sinn
zusammen: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie mir so viel Liebe
gezeigt hat. Die Szene endet mit den tröstlichen Worten Jesu: Dein Glaube hat
dir geholfen. Geh in Frieden!
Reue als
Weg zum inneren Frieden. Mit ihrer Reue hat diese Frau alle Sünden ihres
früheren Lebens ausgelöscht. Sie beginnt ein neues Leben, Glaube und Demut haben
sie von ihrem lasterhaften Lebenswandel befreit.
Was heißt
aber Reue? »Das ursprüngliche Wort metanoein bezeichnet einen Wandel des
Denkens, der Mentalität. Aber es handelt sich nicht darum, eine Art unseres
Denkens gegen eine andere einzutauschen, die möglichst verschieden ist von der
ersten, (...) es geht vielmehr darum, unsere Art zu denken durch die Denkungsart
Gottes zu ersetzen, unsere Mentalität durch die Mentalität Gottes, unser Urteil
durch das Urteil Gottes. Ja, bereuen heißt, sich das Urteil Gottes zu eigen
machen. Gott hat sein eigenes Urteil über uns, über unseren geistigen Zustand,
über unser Verhalten. Dieses Urteil ist das einzige, das vollkommen und absolut
wahr ist; Gott allein sieht bis auf den Grund unseres Herzens, er kennt unsere
Verantwortlichkeiten und auch die Milderungsgründe. Gott weiß alles von uns.
Bereuen heißt, daß wir uns dieses Urteil Gottes über uns zu eigen machen, indem
wir sagen: Mein Gott, ich unterwerfe mich deinem Urteil.«4
II. Die
Reue ist Ausdruck unserer Liebe, und sie zieht die göttliche Barmherzigkeit auf
uns herab: Ich blicke auf den Armen und auf den Zerknirschten5, sagt der Herr.
Auch schlimme Fehler und Mängel dürfen uns nicht mutlos werden lassen: »In
diesem Kampf aus Liebe dürfen uns Stürze nicht betrüben - selbst schwere nicht
-, wenn wir reuevoll und mit guten Vorsätzen im Sakrament der Buße bei Gott
unsere Zuflucht suchen. Der Christ ist nicht krampfhaft darauf bedacht, von Gott
einen tadellosen Leistungsnachweis zu erhalten. So sehr Jesus Christus, unser
Herr, ergriffen ist von der Unschuld und Treue des Johannes - als Petrus nach
seinem Fall reuevoll umkehrt, wendet er sich ihm voll Liebe wieder zu. Jesus hat
Verständnis für unsere Schwachheit und zieht uns wie über eine sanft ansteigende
Ebene zu sich hin. Er erwartet nur, daß wir uns immer wieder bemühen, täglich
ein wenig höher zu kommen. Er sucht uns auf, wie er die beiden Jünger von Emmaus
aufsuchte und sie begleitete, wie er den Thomas aufsuchte, ihm die offenen
Wunden seiner Hände und seiner Seite zeigte und ihn aufforderte, sie mit seinen
Fingern zu berühren. Gerade weil Jesus unsere Schwachheiten kennt, wartet er
ständig darauf, daß wir zu ihm zurückkehren.«6
Simon
kann das, was sich zwischen Jesus und der Sünderin zuträgt, nicht verstehen. Er
betrachtet schweigsam die Szene und verachtet in seinem Innern die Frau. Nicht
nur spielt er sich zum Richter auf und verurteilt jene, der Jesus vergeben hatte
- er schließt auch Jesus in seine Mißbilligung ein: Wenn er wirklich ein Prophet
wäre, müßte er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren läßt;
er wüßte, daß sie eine Sünderin ist.
Jesus
zeigt ihm nun, daß er nicht nur die Seele jener Frau kennt, sondern auch Simons
Gedanken. In Form einer Frage erzählt Jesus ihm das Gleichnis von dem
Geldverleiher, der zwei Schuldner hatte. Der eine war ihm fünfhundert Denare
schuldig, der andere fünfzig. Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten,
erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben?
Simon
fällt die Antwort nicht schwer: der, dem er mehr erlassen hat. Damit wird aus
dem Gleichnis Wirklichkeit. Jesus stellt dem Verhalten der Frau das des
Pharisäers gegenüber. Er wandte sich der Frau zu und sagte zu Simon: Als ich in
dein Haus kam, hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben; sie aber
hat ihre Tränen über meine Füße vergossen und sie mit ihrem Haar abgetrocknet.
»Nichts wird etwa als >übertrieben< zugegeben, geschweige etwa getadelt, im
Gegenteil, die ganze Huldigung der Frau wird als Ausdruck ihrer großen Liebe
erklärt und angenommen. Der Gastgeber aber versinkt einfach dagegen. Denn er hat
ihm nicht einmal die gewöhnlichen Zeichen der Liebe erwiesen, wie sie jeder
Gastgeber dem Gast im Orient zu bieten pflegte: Wasser, die Füße zu waschen, den
Willkommensgruß, der in einer Art Friedenskuß bestand, und wenigstens ein
bißchen Öl zur Salbung.«7 Simon, dem offensichtlich jedes Gespür abgeht, hat
auch keinen Sinn für die göttliche Barmherzigkeit.
Wir
können nicht die Wirklichkeit unserer Sünden leugnen und sie auch nicht auf
unsere Umgebung oder Lebensumstände abwälzen. Wir können sie auch nicht einfach
nur registrieren, als wären sie ein unvermeidliches Naturereignis, das außerhalb
unserer Verantwortung stünde. Eine solche Sicht - eher Verblendung - würde uns
die Türen der Vergebung verschließen und eine wirkliche Wiederbegegnung mit dem
Herrn verhindern. So war es beim Pharisäer: »Viel mehr als die Sünde an sich
erregt es Gottes Unwillen und Zorn, wenn man die Sünde nicht einmal bereut« sagt
der heilige Johannes Chrysostomos.8»Der Reflex, alles zu entschuldigen,
versperrt den Weg zur inneren Buße. Nur sie bringt aber »das Verlangen und den
Entschluß mit sich, das Leben zu ändern, sowie die Hoffnung auf das göttliche
Erbarmen und das Vertrauen auf seine Gnadenhilfe.«9
III. Im
Antwortpsalm der heutigen Messe heißt es: Ich bekannte dir meine Sünde und
verbarg nicht länger meine Schuld vor dir. Du bist mein Schutz, bewahrst mich
vor Not, du rettest mich und hüllst mich in Jubel.10
Gott will
uns ein neues Herz geben. Dies kann jedoch nur dann geschehen, wenn wir uns
selbst gegenüber aufrichtig sind; denn Selbstbetrug, Verstellung und Lüge
trennen uns von Gott, wie wir im selben Psalm vernehmen: Meine Lebenskraft war
verdorrt durch die Glut des Sommers.11
Der Mangel an Aufrichtigkeit rührt von
unserem Stolz her, der den Blick für die Bosheit eines Tuns trübt und somit die
Umkehr verhindert. Unsere schlechten Neigungen werden dann immer stärker, eine
objektive Selbsterkenntnis zunehmend schwieriger. Die Sünderin zeigt uns, was
uns davor schützt: demütige Selbsteinschätzung, die die eigene Sündhaftigkeit
nicht verdrängt.
Die
reuige Einsicht - durch eine Gewissenserforschung in der Gegenwart Gottes
gewonnen - läßt uns falsche Rechtfertigungen oder Entschuldigungen entdecken und
führt uns zum Sündenbekenntnis in der Beichte. Reue und Dankbarkeit stellen sich
dann wie von selbst ein.
Demut
läßt uns die Schuld vor Gott erkennen. Bitten wir den Herrn viele Male am Tage
um Verzeihung. So führen uns gerade unsere vielen Fehler dazu, viel zu lieben;
und wenn es nur wenige Fehler sind, vergessen wir nicht, Gott dafür Dank zu
sagen, daß er uns vor Schlimmerem bewahrt hat. Demut und Dank bewahren uns auch
davor, uns als Richter über andere aufzuspielen.
Wenn er
wirklich ein Prophet wäre, müßte er wissen, was das für eine Frau ist ... In
seiner Überheblichkeit ist der Pharisäer unfähig zu erkennen, was in der Seele
jener Frau geschehen ist. Jesus beurteilt Angeklagte und Ankläger von Gott her;
er »enthüllt dem selbstgerechten Ankläger, was er ist: Irdisch durch und durch;
eingefangen in die Unterschiede dieser Welt; kaltherzig, hart und blind. Und
Jesus macht deutlich, wo das beurteilte Weib steht: in einer Tiefe der Reue und
in einer Größe der Liebe, die sie allem entrücken und dem Erlöser zugehörig
machen.«12
Ihr sind
ihre vielen Sünden vergeben, weil sie mir so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber
nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe. Diese Frau geht aufs
ganze: Sie hat, reumütig, ihr Leben radikal geändert und erweist sich nun aus
Dankbarkeit dem Herrn gegenüber verschwenderisch großzügig; und Christus
überschüttet sie mit seiner Gnade: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben. Man
kann darin einen Extremfall sehen, der uns kaum berührt, denn dies ist in der
Regel nicht unsere Situation. Und doch: Können wir wirklich nichts daraus
lernen? Sind wir nicht gefährdet, uns in unserer Liebe zu häuslich einzurichten,
kompromißbereit nach vielen Seiten zu paktieren und zu taktieren? Brauchen wir
deshalb nicht ab und zu den frischen, starken Wind einer erneuerten Ganzhingabe,
die uns aus der Biederkeit, aus der seichten Zufriedenheit vermeintlicher
Besitzstände herausreißt? Hieße das nicht, unserem halbherzigen Kampf Flügel
wachsen zu lassen, die uns aus unserer Mittelmäßigkeit emportragen?
Bitten
wir die allerseligste Jungfrau Maria, Refugium peccatorum, Zuflucht der Sünder,
daß sie uns von ihrem Sohn innere Wahrhaftigkeit, Reue und den Mut erlangt, uns
durch Buße zu erneuern.
1 Lk
7,36-50. - 2 Regensburger Neues Testament, Bd.3, Regensburg 1955, S.147. - 3
vgl. ebd. - 4 R.Cantalamessa, Das Leben in Christus, Graz 1990, S.158. - 5 Jes
66,2. - 6 J.Escrivá, Christus begegnen,75. - 7 J. Dillersberger, Lukas, Bd.3,
Salzburg 1940, S.130. - 8 Johannes Chrysostomos, Homilien über das
Matthäusevangelium, 14,4. - 9 Katechismus der Katholischen Kirche, 1431. - 10 Ps
32,5-7. - 11 Ps 32,4. - 12 R.Guardini, Der Herr, Würzburg 1951, S.63.