JAHRESKREIS
24. WOCHE - DIENSTAG
5
herr des
erbarmens
Jesus,
Verkörperung des göttlichen Erbarmens.
Die barmherzige Kirche.
Das Bußsakrament.
I.
Meister Eckehart schreibt: »Das Größte, das Gott je an allen Geschöpfen gewirkt
hat, das ist seine Barmherzigkeit. (...) Das Werk der Barmherzigkeit ist so sehr
mit dem Wesen Gottes verwandt, daß Wahrheit, Reichtum und Gutsein - wenn auch
das eine treffender als das andere - Gott bezeichnen, daß aber das höchste Werk
Gottes die Barmherzigkeit Gottes ist. Das will besagen: Gott versetzt die Seele
in das Höchste und Lauterste, das sie empfangen kann, in die Weite, in das Meer,
in ein unergründliches Meer, wo Gott Barmherzigkeit wirkt.«1
Das
heutige Evangelium zeigt uns, wie sich die göttliche Barmherzigkeit in Jesus
offenbart. Der Herr ist auf dem Weg nach einer kleinen Stadt namens Nain.
Seine
Jünger und eine große Menschenmenge folgten ihm. Als er in die Nähe des
Stadttors kam, trug man gerade einen Toten heraus. Es war der einzige Sohn
seiner Mutter, einer Witwe.
Die beiden Züge begegnen sich. Da sieht der Herr die Mutter und
hatte
Mitleid mit ihr.
Diese Wendung begegnet uns oft im Evangelium:
Als er
die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen, denn sie waren müde und
erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben,
oder als er einem Aussätzigen begegnet: Er
hatte
Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will es -
werde rein!
Auch beim Anblick der vielen, die sich, ungeachtet aller Strapazen, um ihn
scharen, sagt der Herr:
Ich habe
Mitleid mit diesen Menschen,
dann wirkt er das Wunder der Brotvermehrung. Und auf die Bitte der zwei Blinden,
daß
unsere Augen geöffnet werden, (...) hatte Jesus Mitleid mit ihnen und berührte
ihre Augen. Im gleichen Augenblick konnten sie wieder sehen.6
Christus
fühlt und leidet nicht nur mit, er erbarmt sich der Menschen. Anders als unser
Mitleid - oft so ohnmächtig - sind die Empfindungen Christi, in denen sich das
Erbarmen Gottes offenbart, reine, allmächtige Liebe. Papst Johannes Paul II.
schreibt in seiner Enzyklika über das göttliche Erbarmen: »Jesus offenbarte
durch seinen Lebensstil und seine Taten, wie die Liebe, die wirkende Liebe, die
Liebe, die sich dem Menschen zuwendet und alles umfängt, was sein Menschsein
ausmacht, in unserer Welt gegenwärtig ist. Diese Liebe tritt besonders dort in
Erscheinung, wo sie mit Leid, Ungerechtigkeit und Armut in Berührung kommt, in
der konkreten conditio humana, der geschichtlichen Befindlichkeit des Menschen,
die auf verschiedene Weise von der physischen und moralischen Begrenztheit und
Gebrechlichkeit des Menschen geprägt ist. Gerade wegen der Art und des Bereichs,
in denen sich die Liebe kundtut, wird sie in der Sprache der Bibel auch als
>Erbarmen< bezeichnet«7. Jesus »spricht nicht nur vom Erbarmen und erklärt es
mit Hilfe von Gleichnissen und Parabeln, er ist vor allem selbst eine
Verkörperung des Erbarmens, stellt es in seiner Person dar. Er selbst ist in
gewissem Sinne das Erbarmen. Für den, der es in ihm sieht und in ihm findet,
wird Gott in besonderer Weise >sichtbar< als Vater, >der voll Erbarmen ist< (Eph
2,4).«8
Als der Herr die Frau sah, hatte er Mitleid mit ihr und sagte zu ihr: Weine
nicht! Dann ging er zu der Bahre hin und faßte sie an. Die Träger blieben
stehen, und er sagte: Ich befehle dir, junger Mann: Steh auf! Da richtete sich
der Tote auf und begann zu sprechen, und Jesus gab ihn seiner Mutter zurück.
Einige
Kirchenlehrer sehen in der Mutter, die ihren Sohn zurückerhält, ein Bild der
Kirche. Sie ist nach Ambrosius die liebende Mutter, die »für jedes einzelne
ihrer Kinder Fürsprache einlegt«9 und die, wie Augustinus ergänzt, »sich Tag für
Tag freut mit den Menschen, die das Leben der Seele wiedererhalten«10. Und wir
fragen uns: Wenn der Herr sich des Volkes wegen einer leiblichen Not erbarmt, um
wieviel mehr wird er sich jener erbarmen, deren Not die Sünde ist und deren
Krankheit zum ewigen Tod führen kann?
Heute
stellt uns die Kirche das göttliche Erbarmen in bewegender Weise vor Augen. Sie
tut es, mit Worten von Johannes Paul II., »wenn sie die Menschen zu den Quellen
des Erbarmens des Heilandes führt, welche sie hütet und aus denen sie austeilt.
Große Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der ständigen Betrachtung des
Wortes Gottes zu und vor allem der bewußten, mit innerer Reife vollzogenen Feier
der Eucharistie und des Sakraments der Buße oder Versöhnung. Die Eucharistie
nähert uns ja immer mehr jener Liebe, die mächtiger ist als der Tod, (...) sie
beweist die unerschöpfliche Liebe, durch die er immer danach strebt, sich mit
uns zu verbinden und mit uns einszuwerden, indem er allen Menschenherzen
entgegenkommt. Das Sakrament der Buße ebnet den Weg zu jedem Menschen, selbst
dann, wenn er mit schwerer Schuld beladen ist. In diesem Sakrament kann jeder
Mensch auf einzigartige Weise das Erbarmen erfahren, das heißt die Liebe, die
mächtiger ist als die Sünde.«11
In
Gestalt der Kirche zieht Jesus über die Straßen dieser Welt als der Mitleidende,
sich Erbarmende. Die Kirche sieht und trägt das Leiden der Menschen, aber ihr
Blick reicht - in der Perspektive des ewigen Lebens, die Christus uns eröffnet
hat - tiefer als alle irdischen Wertungen, und sie erkennt die Sünde als das
einzige Elend, das wirklich todbringend ist. Sie läßt uns das Wort Christi
vernehmen:
Kommt
alle zu mir
... Im Sakrament der Sündenvergebung erfahren wir durch sie das Erbarmen Gottes,
das heilt und befreit. Auf einer geistlichen Ebene ereignet sich stets aufs neue
das Geschehen vor den Stadttoren von Nain: Gottes Barmherzigkeit erweckt uns von
neuem zum Leben.
III. »Das
Erbarmen als solches ist als Vollkommenheit des unendlichen Gottes auch selbst
unendlich. Unendlich und unerschöpflich ist daher die Bereitschaft des Vaters,
die verlorenen Söhne aufzunehmen, die zu seinem Hause zurückkehren. Unendlich
sind die Bereitschaft und die Macht der Vergebung, die unablässig aus dem
wunderbaren Opfer des Sohnes hervorgehen. Keine menschliche Sünde kann diese
Macht bezwingen oder auch nur einschränken. Von seiten des Menschen kann sie nur
der Mangel an gutem Willen, der Mangel an Bereitschaft zur Bekehrung und zur
Buße, also die hartnäckige Verstockung einschränken, die sich der Gnade und der
Wahrheit widersetzt, besonders vor dem Zeugnis des Kreuzes und der Auferstehung
Christi.«12
In dem
Maße, in dem wir Christus näher kommen und entschiedener folgen, wächst in uns
das Bedürfnis, uns zu läutern. Die häufige Beichte trägt dazu bei; jedesmal ist
sie eine einzigartige Begegnung mit dem Herrn. Wahrscheinlich haben wir noch in
unserer Kindheit gelernt, was zu einer guten Beichte gehört:
Gewissenserforschung, Reue, guter Vorsatz, Sündenbekenntnis, Buße.
Die
Gewissenserforschung erschließt uns oft die inneren Haltungen und das Umfeld, in
denen unsere Sünden wurzeln, und nicht nur einzelne Verfehlungen. Die Reue
vertieft das Gespür für die Sünde als Beleidigung Gottes und nicht bloß für
falsches Verhalten. Sie führt zu einem konkreten, festen Vorsatz. Dann ist das
Bekenntnis der Sünden eine Selbstanklage in Demut und Aufrichtigkeit und nicht
bloß ein unbeteiligter Bericht. Und beim Verrichten der auferlegten Buße
bedenken wir, daß die milde Buße mehr ist als nur eine Frömmigkeitsübung: sie
ist ein Werk der Sühne und der Wiedergutmachung.
Die
einzelnen Schritte der Beichte sind »nicht bloße Formalitäten, sondern Akte, die
der sündige Mensch setzt, weil er wirklich glaubt, daß die Beichte persönliche
Begegnung mit Jesus Christus ist: ein Sakrament, in welchem er die Vergebung der
Sünden erlangt. Deswegen dürfen wir sie nicht als eine Art Allerweltsrezept
ansehen, sondern müssen uns bewußt sein, das wir dadurch persönlich vor das
barmherzige Gericht Gottes treten. Mit dieser Haltung des Glaubens bereiten wir
uns dann auf die Begegnung mit Christus unter den geforderten Bedingungen vor.
Denn das ist das einzige, was wir unsererseits leisten können. Das Wichtigste,
die Vergebung der Sünden, liegt in Gottes Hand.«13
Maria ist
die Zuflucht der
Sünder. Wir nennen sie dankbar »unsere Zuflucht«, »meine Zuflucht«
und erbitten von ihrer Fürsprache die Gnade, in der Beichte die wirksamste
Konkretisierung der göttlichen Barmherzigkeit zu sehen, die Jesus verkörpert.
Meister Eckehart,
Predigt
zu Hosea
14,4. -
vgl.
7,11-17. -
9,36 . -
1,41. -
8,2. -
20,34. -
Johannes Paul II., Enz.
Dives in
Misericordia,
2,3. -
ebd., 1,2. -
Ambrosius,
Auslegung
des Evangeliums nach Lukas,
5,92. -
Augustinus,
,
98,2. -
Johannes Paul II., Enz.
Dives in
Misericordia,
7,13. -
ebd. -
F.Luna,
Wie
beichte ich richtig?,
Köln 1977, S.17.